Lutherrose
Volker Rühe

Heinz Drews Hamburg, den 14. November 1998
Postfach 605475
22249 Hamburg

Herrn                                                              Motto:
Volker Rühe                                                  Wer die Geschichte vernünftig ansieht,
Mietglied des Deutschen Bundestages        den sieht sie auch vernünftig an.
Bundeshaus                                                   (Georg Wilhelm Hegel)
Görresstraße 15
53113 Bonn

Sehr geehrter Herr Rühe!

Als Sie noch das Amt des Bundesverteidigungsministers innehatten, waren Sie einer starken Kritik ausgesetzt. Es ging dabei um die Gelöbnisfeiern und die von Ihnen angestrebte Traditionspflege in der Bundeswehr. Als Mitglied der CDU-Landesverband Hamburg- habe ich Ihr Bemühen um diese Traditionspflege sehr befürwortet. Eben so sehr fanden die von Ihnen geforderten Maßnahmen, um das Eindringen nazistischen Geistes in die Bundeswehr zu verhindern, meine Zustimmung. Für Beschwichtigungsversuche, die Ihnen dazu von verschiedener Seite entgegengebracht worden sind, hatte ich kein Verständnis.

Zu den Gelöbnisfeiern der Bundeswehr habe ich mich auch gegenüber dem Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Herrn Ignaz Bubis, in einem Schreiben vom 4. Mai 1998 geäußert, das ich als Ablichtung beifüge, ebenso das persönliche Antwortschreiben vom15. Mai 1998. In Zusammenhang damit ist die Ablichtung eines Schreibens beigefügt, das ich am 10. Januar 1998 an den Herrn Bundespräsidenten gerichtet habe, mit dem Antwortschreiben vom 22. Januar 1998 und dem darin erwähnten Pressebericht aus der Tageszeitung „Die Welt“.

Meine politische Tätigkeit hat zu außergewöhnlichen Kontroversen geführt, so zu einem Rechtsstreit mit der Freien und Hansestadt Hamburg.

Dazu habe ich zu Ihrer Information folgende Ablichtungen beigefügt:

Erste Seite eines Beschusses des Verwaltungsgerichtes Hamburg vom 3. Januar 1994, worin die Dimensionen aufgezeigt sind, in denen sich der Rechtsstreit bewegt.

Schriftsatz vom 9. November 1996 an das Hanseatische Oberlandesgericht, der Rahmen einer Verfassungsbeschwerde ergangen ist. Das Bundesverfassungsgericht ist mit Unterbrechungen nahezu vier Jahre tätig gewesen.

Zwei Schriftsätze jeweils vom 6. März 1998 an die Hamburger Bürgerschaft und die Justizbehörde.

Ein Schreiben an den Herrn Bundeskanzler vom 21. Juni 1996, mit dem Antwortschreiben vom 26. Juni 1996.

Schreiben an Herrn Dirk Fischer vom 2. Mai 1998, mit dem Antwortschreiben vom

29. Mai 1998.

Über die Vorgänge habe ich auch Herrn von Beust, Herrn Dr. Freytag und Frau Spethmann als Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft informiert.

Zum Abschluss habe ich mit kurzer Kommentierung die Ablichtungen einiger Stellungnahmen beigefügt, die als exemplarisch gelten können und die eine Tendenz aufweisen, mit der ich in vielfacher Weise an die Öffentlichkeit gegangen bin, so an diplomatische Vertretungen, Presseorgane und politische Persönlichkeiten.

Mit meinen Darstellungen bin ich bisher nirgendwo auf Widerspruch gestoßen, außer dass mit ungewöhnlich rücksichtslosen Methoden versucht worden ist, mich überhaupt zum Schweigen zu bringen, wie es der Eingangs kurz geschilderte Rechtsstreit erkennen lässt.

Zuerst möchte ich die Aufmerksamkeit lenken auf ein Schreiben vom 13. Juli 1991 an „Spiegel“- Herausgeber, Rudolf Augstein, mit dem Antwortschreiben vom 23. Juli 1991.

Solche Darstellungen historischer Vorgänge mit hauptsächlichen Bezug verfolgen nicht das Ziel aus einer rechthaberischen Einstellung heraus, eine Gegenrechnung aufzumachen. Es soll aber damit einer nach dem Zweiten Weltkrieg üblich gewordenen Tendenz in Publizistik und Historiographie entgegengewirkt werden. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, die Deutsche Geschichte zu verbiegen oder willkürlich ins Negative zu interpretieren oder gar zu fälschen, um einem hitlerzentrischen Geschichtsbild Geltung zu verschaffen.

Konrad Adenauer hat es nach dem Zweiten Weltkrieg abgelehnt, ein einseitiges deutsches Schuldbekenntnis zu formulieren. Sehr deutlich hat er das während der Verhandlungen in mit der sowjetischen Regierung 1955 in Moskau zu erkennen gegeben. Konrad Adenauer war Vorwürfen des sowjetischen Außenministers Molotow mit der Frage begegnet: "Wer hat eigentlich den Pakt mit Hitler geschlossen, Sie oder ich?"

Meine politische Tätigkeit hat zu außergewöhnlichen Kontroversen geführt, so zu einem Rechtsstreit mit der Freien und Hansestadt Hamburg.

Dazu habe ich zu Ihrer Information folgende Ablichtungen beigefügt:

 

Schriftsatz vom 9. November 1996 an das Hanseatische Oberlandesgericht, der Rahmen einer Verfassungsbeschwerde ergangen ist. Das Bundesverfassungsgericht ist mit Unterbrechungen nahezu vier Jahre tätig gewesen.

Zwei Schriftsätze jeweils vom 6. März 1998 an die Hamburger Bürgerschaft und die Justizbehörde.

Ein Schreiben an den Herrn Bundeskanzler vom 21. Juni 1996, mit dem Antwortschreiben
vom 26. Juni 1996.

Schreiben an Herrn Dirk Fischer vom 2. Mai 1998, mit dem Antwortschreiben vom
29. Mai 1998.

Über die Vorgänge habe ich auch Herrn von Beust, Herrn Dr. Freytag und Frau Spethmann als Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft informiert.

Zum Abschluss habe ich mit kurzer Kommentierung die Ablichtungen einiger Stellungnahmen beigefügt, die als exemplarisch gelten können und die eine Tendenz aufweisen, mit der ich in vielfacher Weise an die Öffentlichkeit gegangen bin, so an diplomatische Vertretungen, Presseorgane und politische Persönlichkeiten.

Mit meinen Darstellungen bin ich bisher nirgendwo auf Widerspruch gestoßen, außer dass mit ungewöhnlich rücksichtslosen Methoden versucht worden ist, mich überhaupt zum Schweigen zu bringen, wie es der eingangs kurz geschilderte Rechtsstreit erkennen lässt. Zuerst möchte ich die Aufmerksamkeit lenken auf ein Schreiben vom 13. Juli 1991 an „Spiegel“- Herausgeber, Rudolf Augstein, mit dem Antwortschreiben vom 23. Juli 1991. Solche Darstellungen historischer Vorgänge mit hauptsächlichen Bezug verfolgen nicht das Ziel aus einer rechthaberischen Einstellung heraus, eine Gegenrechnung aufzumachen. Es soll aber damit einer nach dem Zweiten Weltkrieg üblich gewordenen Tendenz in Publizistik und Historiographie entgegengewirkt werden. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, die Deutsche Geschichte zu verbiegen oder willkürlich ins Negative zu interpretieren oder gar zu fälschen, um einem hitlerzentrischen Geschichtsbild Geltung zu verschaffen.
Konrad Adenauer hat es nach dem Zweiten Weltkrieg abgelehnt, ein einseitiges deutsches Schuldbekenntnis zu formulieren. Sehr deutlich hat er das während der Verhandlungen 1955 in Moskau erkennen lassen, wo ihm der damalige sowjetische Außenminister Molotow mit Vorwürfen aus einer moralisch-politischen Ebene begegnete. Adenauer hat ihm daraufhin die Frage vorgelegt: „ Wer hat eigentlich den Pakt mit Hitler geschlossen, Sie oder ich?“ Im Anschluss an diese Frage hat der deutsche Kanzler ebenso deutliche Kritik an den Westmächten geübt, die das Hitler- Regime nicht nur geduldet, sondern es geradezu gestützt und gefördert hatten. Die damalige sowjetische Führung ist auf Adenauers Argumentation nicht eingegangen. Konrad Adenauer war kein rechthaberischer Gegenrechner, seine Politik war darauf ausgerichtet, versöhnlichen Geist zu schaffen, nach außen wie nach innen.

Die Verträge mit David Ben Gurion und Charles de Gaule sprechen dafür, ebenso die Gründung einer an christlichen Werten orientierten Partei über die Konfessionsgrenzen hinweg.

Sir Winston Churchill hat über Adenauer geurteilt, er sei der größte deutsche Staatsmann seit Bismarck gewesen. Diese Urteil hat besonderes Gewicht, weil es von dem Politiker und Staatsmann Churchill ausgesprochen worden ist.

Das Bismarckbild ist in den letzten Jahrzehnten allzu sehr verunstaltet worden, als das es noch widerspruchslos hingenommen werden könnte. Der gegenwärtige demokratisch verfasste Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland sieht seinen Ursprung in dem Revolutionsjahr 1848 und betreibt seine Identitätsfindung in historischen Entwicklungen, die damit in Zusammenhang stehen. Bismarck übernimmt darin die Rolle des Bösewichts, der als das große Hindernis hingestellt wird zur Errichtung einer parlamentarischen Demokratie. Die historische Wirklichkeit sieht anders aus.

Wer heute Reden liest, wie sie von Abgeordneten des preußischen Landtages während einer Entwicklung, die 1850 zu Olmütz geführt hat oder in der Konfliktszeit mit Bismarck als preußischen Ministerpräsidenten oder in der Schleswig-Holstein Frage gehalten wurden, der wird um die Feststellung nicht herumkommen, dass der „Reaktionär“ Bismarck die Vernunft aus seiner Seite hatte.

Das gleiche gilt von Reden, die in dem betreffenden Zeitraum in der Paulskirche gehalten wurden. Kein bundesdeutscher Parlamentarier wäre heute bereit sich damit zu identifizieren. Als Bismarck 1863 eine Reform des Deutschen Bundes in Vorschlag brachte, die ein Parlament vorsah, das nach einem gleichen, geheimen und freien Wahlrecht gewählt werden sollte, kam es in Europa zu Ausschlägen heftiger Entrüstung auch in den Ländern, die uns heute als das Vorbild einer geschichtlichen Entwicklung zur parlamentarischen Demokratie nahe gebracht werden..

Adolphe Thiers, der in dem Zeitraum bedeutenden Einfluss auf die französische Politik gewonnen hatte, erklärte unumwunden: „Der oberste Grundsatz europäischer Politik, aufgestellt im Westfälischen Frieden, ist, dass Deutschland sich aus unabhängigen Staaten zusammensetzt. Wenn die deutschen Einzelstaaten im einigen Deutschland aufgehen, so ist das ein Attentat auf die deutsche Freiheit und gegen Europa gerichtet. Wohlan, wir leiden es nicht.“

Der britische Außenminister Clarendon ließ den preußischen Botschafter Bernstorff wissen, er sei aufs tiefste erschreckt. Und der russische Staatskanzler Gortschakow fühlte sich zu dem deutlichen Hinweis gedrungen: „Das ist nicht mehr Politik, das ist Revolution.“

Im September 1866, nach dem Deutsch- Deutschen Krieg, stellte Bismarck beim preußischen Landtag den Antrag auf Indemnität für die Ausgaben, die zur preußischen Heeresreform in den Jahren davor ohne Zustimmung des Landtages erfolgt waren. Bismarck hatte die Vorlage gegen den hartnäckigen Widerstand seines Königs eingebracht. Niemand hätte Bismarck zu diesem Zeitpunkt zu einem solchen Schritt zwingen können.

Das Wahlrecht zum Bundestag des Norddeutschen Bundes und später nach 1871 zum Deutschen Reichstag war das fortschrittlichste Wahlrecht, das es damals in Europa gab.

1869 erhielten die Juden im Norddeutschen Bund die volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung, eine Gesetzgebung, die danach auch für das Deutsche Reich übernommen wurde. Damit setzte eine Entwicklung ein, für die auf jüdischer Seite große Namen stehen: Heinrich Herz, Albert Einstein, Walter Rathenau und Albert Ballin, um nur einige zu nennen. Albert Ballin ist freiwillig aus dem Leben geschieden, weil er den Verlust des Ersten Weltkrieges für Deutschland nicht verwinden konnte. Er hatte eine gute hamburgische Art, sich auszudrücken und ist ein Beispiel dafür, wie eng sich Juden mit Deutschland verbunden fühlten. Hätte seine Stimme mehr Gehör gefunden, manches Unheil wäre nicht eingetreten.

Walther Rathenau hat Großes geleistet für Deutschland in Zeiten, in denen es am Abgrund hing.

Eine Anerkennung ist ihm dafür nicht zuteil geworden, und wenn er darauf mit Enttäuschung reagiert hat, ist ihm das auch noch zum Vorwurf gemacht worden.

Bedeutsames geschah am Rande einer großen internationalen Konferenz in Genua im April 1922, in welcher eine neue Weltwirtschaftsordnung geschaffen, und die Deutschland betreffenden Reparationsforderungen der Siegermächte des Ersten Weltkrieges geregelt werden sollten. Im Verlaufe der Konferenz von Genua hat dann Walther Rathenau als Reichsaußenminister mit der Sowjet-Union die Verträge von Rapallo geschlossen. Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg ist oft versucht worden einen Rapallo- Komplex, politisch am Leben zu erhalten. Von einer „unheiligen Allianz“ ist nicht selten die Rede gewesen. Eines wird dabei ausgelassen und vergessen gemacht: Dass Frankreich und Großbritannien ebenfalls versucht haben, die sowjetische Delegation in Rapallo auf ihre Seite zu ziehen und sie zu bewegen, sich an Reparationsforderungen gegenüber Deutschland zu beteiligen, was nichts anderes bedeutet hätte, als das die ohnehin unrealistischen und unerfüllbaren Vorstellungen der Westmächte gegenüber dem Deutschen Reich noch weiter in die Höhe geschraubt worden wären. Das staatsmännische und diplomatische Geschick Walther Rathenaus hat das verhindert. Deutschland und die Sowjet-Union verzichteten in Rapallo vertraglich auf gegenseitige Anklagen und Schadenersatzforderungen. Die beiden „bösen“ Mächte Deutschland und Sowjet- Union hatten hier mehr Vernunft gezeigt als die „guten“ Mächte des Westens.

Das leitet über zur gegenwärtigen Politik des Westens gegenüber Russland und den GUS-Staaten. Es ist eine verfehlte Politik, sie war es vom Zeitpunkt der Wende an. Es ist eine Politik mit unwägbaren Risiken, und der Hauptrisikoträger wird die Bundesrepublik Deutschland sein in jeder Hinsicht, mehr noch als zur Zeit des Kalten Krieges. Russland und die GUS-Staaten werden ausgegrenzt, durch Europa wird eine neue Trennungslinie gezogen, insgeheim etwas modifiziert wird gegenüber Russland ein Feindbild aufrecht erhalten, darüber können noch so sorgfältig ausgeklügelte diplomatische Formulierungen nicht hinwegtäuschen. Die Teilung Europas ist noch nicht überwunden, denn Russland ist eine europäische Kulturnation mit allen entscheidenden Merkmalen, die dazugehören.

Bismarck und Adenauer haben etwas gemeinsam: Die große staatsmännische Leistung beider ist nach ihrem Abgang mit maßloser Kritik bedacht worden, indem die Geschichte stark verbogen wurde, um es ganz liebevoll auszudrücken. In einem Hamburger Presseorgan war unlängst zu lesen, Bismarck habe, um die deutsche Einigung zu erreichen, „Kriege vom Zaun gebrochen“. Nicht einer der drei Kriege 1864, 1866 und 1870/71, die geführt wurden in der Zeit, als Bismarck preußischer Ministerpräsident war, ist von Bismarck begonnen worden, nicht einer. Als Bismarck Deutschland als Nation in einem Staat vereinigt hatte, da hatten andere vergleichbare Nationen diesen Prozess schon lange vollzogen, nur mit erheblich mehr Blut und Eisen. Sogar die USA, die damals noch nicht einmal hundert Jahre alt waren, sind Bismarck hier noch zuvor gekommen, in einem überaus grausam geführten Bürgerkrieg, der mehr Opfer gefordert hat als die genannten drei Kriege der Bismarckzeit zusammengenommen. Darum ist es unzulässig die bismarcksche Politik als einen „deutschen Sonderweg“ herabzuwürdigen.

Im Westfälischen Frieden 1648 erhielt Deutschland einen Status, der es weitgehend zu einer Verfügungsmasse seiner ihn umgebenden Mächte bestimmte. An dem Zug Napoléon I. 1812 nach Russland waren zweihundertfünfzigtausend Deutsche beteiligt, von denen nur wenige wieder zurückgekehrt sind.

Die Verfassung des Deutschen Bundes, der 1815 unter Mitwirkung der europäischen Großmächte auf dem Wiener Kongress gegründet wurde, hatte an dem vorher bestehenden Zustand nur wenig geändert. Die Hoffnung vieler Deutscher auf einen Staat der Einheit, gegründet auf eine demokratisch-konstitutionelle Verfassung, hatte sich nicht erfüllt.

Es war das berechtigte Anliegen bismarckscher Politik, den zuvor in wenigen Sätzen geschilderten Zustand zu beenden.

Mit historischen Darstellungen kommt es nicht darauf an, Recht zu haben und Recht zu behalten, sondern in einem zusammenwachsenden Europa ist es notwendig, dass sich die verschiedenen Nationalitäten in Respekt vor der gemeinsamen Geschichte und in gegenseitigen Respekt vor der jeweiligen eigenen Geschichte und der damit verbundenen kultur- und geistesgeschichtlichen Entwicklung begegnen.

Eine kulturelle Nivellierung zur Schaffung eines kulturellen Einheitsmenschen muss abgelehnt werden.

Einem Europa der Rivalitäten, die mit ihren politischen Konstellationen schon auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblicken können, wird keine segensreiche Zukunft beschieden sein.

Nachdem Bismarck die deutsche Nation in einem Staat geeint hatte, war das Ziel seiner Politik für Deutschland die Sicherung des Bestehenden und für Europa die Sicherung des Friedens. Die Bündnissysteme, die zu diesem Zwecke errichtet wurden, hatten keine Hegemonie-Bestrebungen oder Ansprüche zur Grundlage.

Angelpunkt einer Kritik an Bismarck sind die 1878 erlassenen Sozialistengesetze, mit denen es zu Verfolgungsmaßnamen gegen die beginnende und sich entwickelnde Sozialdemokratie kam. An einseitigen Darstellungen und Interpretationen hat es denn auch in diesem Zusammenhang nicht gefehlt. Bismarck, dieser durch und durch böse Mensch, diesmal als Feind aller sozialen Gerechtigkeit und Unterdrücker der Arbeiterschaft.

Als im Mai 1871 der Pariser Kommuneaufstand einen revolutionär-gewaltsamen Höhepunkt erreicht hatte, äußerte August Bebel am 25. Mai 1871 im Reichstag dazu, das sei „nur ein Vorpostengefecht“ des europäischen Proletariats gegen die bestehende wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung. Die Rede gipfelte in der Prophezeiung: „ Die Hauptsache in Europa steht uns noch bevor.“ So frei durfte damals im Deutschen Reichstag geredet werden.

Wir verfügen heute über einschlägige historische Erfahrungen, wohin die Art Sozialismus, die dort angesprochen wurde, hingeführt hat.

Es wäre gut, wenn die sozialistische und sozialdemokratische Richtung in unserem Lande einmal zu einer kritischen Bestandsaufnahme ihrer Geschichte gelangte. Von ihrem Gegenüber verlangt sie das unentwegt mit arroganter Selbstverständlichkeit. Dann könnte ein Dialog der Vernunft einsetzen, um die gesellschaftliche und ideologische Polarisierung zu überwinden. Ein politisches Ziel, für das schon Friedrich Naumann im Kaiserreich gestritten hat. Die gegenwärtige politische Situation in Deutschland lässt eine solche Entwicklung in Deutschland nicht erwarten.

Es hat viele intellektuell begabte Nachredner gegeben, die im nachhinein genau wussten, das politische Werk Bismarcks habe zwangsläufig der Zerstörung anheim fallen müssen. Bismarck wusste das schon vorher.

Bereits 1891 erklärte Bismarck in Bad Kissingen einer Abordnung des Deutschen Studentenbundes, es werde Stein für Stein wieder abgetragen, was in vierzig Jahren mit Schweiß und Tränen aufgebaut worden sei. Wenige Jahre nach seiner Entlassung äußerte Bismarck die Befürchtung, es werde der Tag kommen, an dem das in seiner Regierungszeit errichtete Sozialversicherungssystem, einem schrankenlosen Anspruchsdenken zum Opfer fallen werde. Dieses Sozialversicherungssystem hat zwei Kriege und zwei Inflationen überstanden, heute wird es zur Disposition gestellt. Kapitaldienstverpflichtungen und Sozialetat verschlingen mehr als 50% des Haushaltsvolumens. In seinem Todesjahr 1898 lies Bismarck sich noch einmal warnend vernehmen, wenn so weiter Politik gemacht werde, dann sei in zwanzig Jahren alles zerstört.

Darum konnte „Der Spiegel“ auch einmal schreiben: Den Untergang des Reiches auf das Jahr vorausgesagt. Auf den nahe liegenden Gedanken, dass die Nachfolger Bismarcks unfähig waren, das Erbe zu bewahren und in einem guten Sinne weiterzuentwickeln, sind bisher nur wenige gekommen. Eine Parallele muss noch gezogen werden von der Bismarckzeit zur bundesdeutschen Ära nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach der Einigung Deutschlands hatte Bismarck warnend die Losung ausgegeben: „Deutschland ist saturiert.“ Wir wissen heute, dass seine Nachfolger diese Warnung gründlich missachtet haben. Als nach erfolgter Aufbauphase Ludwig Erhard den Appell ergehen lies, es gelte Maß zuhalten, ging ein schallendes Gelächter durch die Nation. Der Übermut hatte sie wieder gepackt.

Aber nicht genug damit. Der Irrationalismus feierte ungeahnte Triumphe. Die 68er Revolutionäre ließen Land auf Land ab den Ruf erschallen: „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ Die Regierungszeit Konrad Adenauers wurde als Restauration der Nazi- Herrschaft hingestellt, von einer „zweiten Schuld“ war die Rede, und eine maßgebliche Persönlichkeit der politischen bundesdeutschen Gegenwart hat die Tugenden, über die nach dem Zweiten Weltkrieg ein gesellschaftlicher und politischer Konsens über alle Parteigrenzen hinweg bestand, zu „Sekundärtugenden“ erklärt, mit denen auch ein KZ geleitet werden könne.

Die CDU hat auf diese maßlosen Unverschämtheiten mit einer schüchternen bürgerlichen Vornehmheit reagiert, woraus der Eindruck entstehen musste, als habe sie geradezu ein schlechtes Gewissen. Eine Haltung für die sich eine rationale Erklärung nicht finden lässt.

Weiter weise ich hin aus beigefügte Ablichtung eines Schreibens an Bundesaußenminister Kinkel vom 27. August 1994, mit dem persönlichen Antwortschreiben vom 2. September 1994 und der darauf erfolgten Erwiderung vom 24. September 1994. Einige Anmerkungen sollen erfolgen zu dem Schreiben vom 24. September 1994 an den damals amtierenden Bundesaußenminister. Einiges ist darin ausgeführt zu Wesenszügen Preußischer Geschichte.

Preuße ist man durch Bekenntnis, nicht durch Geblüt.

Alexander von Humboldt hat sich zu diesem Satz ausführlicher geäußert. Der Satz ist wichtig, markiert er doch den entscheidenden Gegensatz zwischen preußischer Tradition und Geschichte zur NS- Ideologie.

Weiter habe ich in dem Schreiben Vorschläge unterbreitet, wie eine vernünftige Ausländerpolitik gestaltet werden könnte. Das politische und gesellschaftliche Leben in Deutschland internationalisiert sich. Aber wenn von einer multikulturellen Gesellschaft gesprochen wird, dann wird stillschweigend vorausgesetzt, dass deutsche Kultur und Geistesgeschichte daran nicht teilnehmen soll. Geschichtsbewusstsein und damit verbundene nationale Identität und kulturelle Eigenständigkeit werden in Deutschland immer seltener, und was davon noch übrig ist, wird oft genug nur noch künstlich am Leben erhalten. Deutsche, die darüber ein Unbehagen empfinden und dieser Entwicklung zu begegnen versuchen, indem sie eine Abneigung gegen Ausländer zeigen, sind fehlgeleitet. Die Deutschen haben gegenüber ihrer Geschichte, einer möglichen nationalen Identität und Solidarität mit entsprechenden Verantwortungsbewusstsein einen Minderwertigkeitskomplex entwickelt. Das gesagte betrifft weit mehr Westdeutschland oder die alten Bundesländer und weit weniger die neuen Bundesländer. Zum Zeitpunkt der Wende war bei großen Versammlungen in der DDR ein Meer von schwarz-rot-goldenen Fahnen zu sehen, in Westdeutschland nicht eine einzige. Woraus zu entnehmen ist, dass es den Menschen in der ehemaligen DDR noch um etwas anderes ging als ausschließlich um materielle Wertschöpfungen. Sollten die neuen Bundesländer gegenüber dem Westen aufschließen oder gar gleichziehen, dann wäre die innere Vereinigung damit noch lange nicht vollzogen und das geistige Band damit noch lange nicht vorhanden. Es gibt Werte, die mit Geld nicht gekauft werden können.

Für solche Entwicklungen und Tendenzen können nicht die in Deutschland lebenden Ausländer verantwortlich gemacht werden. Es kann von den vielen Nationalitäten, die sich in Deutschland niedergelassen haben, nicht erwartet werden, deutscher zu sein als die Deutschen selbst.

Die Vorschläge, die in dem genannten Schreiben vom 24. September 1994 zu einer Ausländerpolitik gemacht worden sind, sollen weiter präzisiert werden. Ich werde mich für die Schaffung eines Nationalitätenkongresses einsetzen, zu dem alle in Deutschland lebenden Nationalitäten, ab einer gewissen Zahl, gewählte Mitglieder entsenden. Das frei werdende Bonner Parlament wäre der geeignete Ort für ein solches Vorhaben. Dieser Nationalitätenkongress sollte mit dem Deutschen Bundestag in allen betreffenden Fragen zusammenarbeiten. Entscheidend ist die Funktion der Mitglieder, die auch in einer Brückenfunktion zu den jeweiligen Herkunftsländern bestehen sollte.

Abschließend sei noch hingewiesen auf das Schreiben vom 8. November 1997 an „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein, das mit dem persönlichen Antwortschreiben vom 17. November 1997 als Ablichtung beigefügt ist. In dem Schreiben ist die Tätigkeit Dietrich Bonhoeffers in den Vordergrund gestellt worden. Die Evangelische Kirche täte gut daran sich derer, die in der NS-Zeit Leben und Gut eingesetzt haben, etwas mehr zu erinnern. Es waren nicht wenige, die sich der Flut des Unheils entgegengestellt haben, unter denen Dietrich Bonhoeffer an herausragender Stelle steht.

Er ist unlängst dafür von der britischen Königin Elisabeth II. in besonderer Weise geehrt worden.

Eine Schlussbemerkung noch zu meiner politischen Tätigkeit in der CDU. Es ist nicht meine Absicht, parteipolitische Solidarität zu erwirken. Es muss immer noch die Frage geklärt werden, ob die im Grundgesetz verfassungsmäßig garantierten Grundrechte auch für meine politische Überzeugung Gültigkeit besitzen.

Mit besten Wünschen und Grüßen

gez. Heinz Drews

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