Lutherrose
 Rudolf Augstein

Schreiben an Rudolf Augstein

Heinz Drews Hamburg, den 8. November 1997

Postfach 605475

22249 Hamburg

Herrn

Rudolf Augstein

Brandstwiete 19

20457 Hamburg

Sehr geehrter Herr Augstein!

Mit Aufmerksamkeit und mit besonderem Interesse habe ich Ihren Beitrag gelesen:
„Die Kirche und der Holocaust“, der vor einigen Wochen erschienen ist.

Konrad Adenauer hat nach dem Zweiten Weltkrieg die Haltung katholischer Bischöfe verurteilt und geäußert, dafür gäbe es keine Entschuldigung. Er hätte solche Kritik auch an den Vatikan richten müssen, denn gemessen an den Möglichkeiten, die der Vatikan hatte, die Weltöffentlichkeit zu informieren, schrumpft das päpstliche Rundschreiben „Mit brennender Sorge“, das 1937 ergangen ist, zu einer geringen Bedeutung.

Mit meinem heutigen Schreiben an Sie möchte ich auf eine Parallelentwicklung im ökumenisch- protestantischen Raum hinweisen. Ich hätte dieses Unternehmen gerne etwas umfangreicher gestaltet, was mir leider nicht möglich ist, so muss ich mich auf einige Anmerkungen beschränken.

Ich schreibe gegenwärtig im Rahmen meines Geschichtsstudiums an einer Arbeit zum „Stuttgarter Schuldbekenntnis“, das im Oktober 1945 von den Ratsmitgliedern der gerade zuvor gegründeten EKiD erfolgte. Anwesend waren dabei auch namhafte theologische Persönlichkeiten von Mitgliedskirchen der Ökumene. Die „Stuttgarter Erklärung“ hat eine Vorgeschichte, dazu gehören der Nationalprotestantismus nach dem Ersten Weltkrieg, der Kirchenkampf der Bekennenden Kirche im Dritten Reich und die Beziehungen der Bekennenden Kirche zur Ökumene, ihren Mitgliedskirchen und Organisationen während der NS-Herrschaft. Eine Fehlentwicklung wurde eingeleitet durch den Nationalprotestantismus nach dem Ersten Weltkrieg. In ihm wurde nationale weltliche Politik zu Glaubensinhalten umfunktioniert, das ist gemäß der Botschaft des Evangeliums nicht zulässig und steht auch der Zwei- Reiche- Lehre Martin Luthers entgegen. Damit ist nicht die Forderung nach politischer Abstinenz verknüpft. Die Kirche kann und muss im Sinne der ethischen Maßstäbe des Evangeliums auf Staat, Politik und Gesellschaft einwirken.

Im Dritten Reich hätte sie es müssen, was von Dietrich Bonhoeffer klar erkannt und gefordert worden ist.

Die NSDAP war eine Weltanschauungspartei, mit dem Ziel Staat und Gesellschaft entsprechend umzuformen. Dem haben die Vertreter der Bekennenden Kirche(BK) in den Bekenntnissynoden von Barmen im Mai 1934 und später in der Bekenntnissynode von Dahlem ein eindeutiges christlich-theologische Bekenntnis entgegengesetzt, das keine Kompromisse zuließ. Die in Barmen und Dahlem formulierten Bekenntnisse waren auch eine Abkehr vom Nationalprotestantismus. Dennoch ist der Kampf der Bekennenden Kirche als unzulänglich angesehen worden.

Immerhin, im März 1937 befanden sich mehr als 700 Pfarrer der BK in Haft. Mit Staatsterror und Zusagen, die dann nicht eingehalten wurden, versuchte der NS-Staat der Situation Herr zu werden. Wiederum muss Dietrich Bonhoeffer erwähnt werden, er hatte die NS-Ideologen und deren Wesen von Anbeginn durchschaut und jede Kompromissbereitschaft für ein Verhängnis gehalten. Im Juni 1936 wurde an Hitler eine Denkschrift der BK eingereicht, in der alles angesprochen wurde, die Willkürmaßnahmen des Staates nicht nur gegen die Kirchen, der Zwang zum Antisemitismus, die Vergötterung Hitlers und die insgeheim kirchenfeindliche Politik der NSDAP. Die Denkschrift wurde Ende Juli 1936 in den „Baseler Nachrichten“ in vollem Wortlaut veröffentlicht. Eine Entlastung für das Hitler- Regime in den Auseinandersetzungen ergab sich durch die Olympiade, wo es Hitler noch einmal oder wieder einmal gelang nicht nur die deutsche, sondern die gesamte Weltöffentlichkeit zu täuschen.

Die maßgeblichen Vertreter der Ökumenischen Bewegung waren über die Ereignisse im Dritten Reich sehr gut informiert. Dietrich Bonhoeffer hatte in der Ökumene Gewicht und Stimme. Unermüdlich hat er in Ökumene den Abbruch der Beziehungen zur Reichskirche gefordert, die das christliche Bekenntnis bis zur Unkenntlichkeit verwässert hatte, und die Anerkennung der BK als einzig rechtmäßige Kirche verlangt. Dazu ist es nicht gekommen.

Selbst ein Mann wie Bischof Bell von Chichester, der sich wohl als einzigster und Vertreter der anglikanischen Kirche besonders nachhaltig für die Belange der BK innerhalb der Ökumene eingesetzt hatte, konnte sich nicht dazu entschließen einen solchen Schritt zu fordern und über den Schatten vermeintlicher nationaler Interessenspolitik hinwegzuspringen. Eine Anerkennung muss Bischof Bell trotzdem im nachhinein zugestanden werden: Er ist in seinem Ringen für die BK manches Risiko eingegangen.

Die Mitgliedskirchen der Ökumene in Europa und Amerika haben sich auch nicht zu einer Verurteilung von Hitlers Judenpolitik entschließen können. Über einige Protest- und Solidaritätskundgebungen, die keine große Wirkung gehabt haben, ist es nicht hinausgekommen.

Es gibt keine zwei Religionen, die so eng miteinander verknüpft sind wie Judentum und Christentum. Ohne die antike jüdische Geschichte ist christlicher Glaube nicht vorstellbar, und das Fundament zur Ausbreitung des christlichen Glaubens in alle Welt ist von jüdischen Menschen gelegt worden. Es ist in der Geschichte nie gelungen, das große Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen, sondern immer nur das Trennende.

Mit freundlichem Gruß gez. Heinz Drews

Es folgt das Antwortschreiben, das von Rudolf Augstein daraufhin ergangen ist. Darin wird der Eindruck erweckt, als sei um ein persönliches Gespräch nachgesucht worden. An Rudolf Augstein sind in regelmäßigen Abständen Stellungnahmen gerichtet worden, die auch oft beantwortet worden sind, um ein persönliches Gespräch ist aber nicht nachgesucht worden.

Adenauer

Dünkirchen / StalingradSeiten AnfangAntwort der Spiegel

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