Lutherrose
Sozialistengesetz 1878
Themen13
Leer16
Die Arbeiter und die Bestrebungen zur deutschen Einheit von 1848 bis 1878
3. Das Ringen innerhalb der Sozialdemokratie
4. Die Sozialdemokratie im Urteil bürgerlicher Vertreter.

II. Die Vorgeschichte zum Sozialistengesetz 1878

NavNext71
1. Arbeiterbewegung im Vormärz

1789 begann für Europa ein revolutionäres Zeitalter. Das dynastische Element als Herrschaftssystem wurde in Frage gestellt Im dynastisch beherrschten Europa waren die Verschiebung der Grenzen nicht immer gleichbedeutend mit der Verschiebung nationaler und kultureller Eigenständigkeit. Im dynastischen Herrschaftsbereich galt der jeweils herrschende Monarch als der „Landesherr“. Nationales und damit verbundenes kulturelles Denken und Handeln hatte einen anderen Stellenwert als im aufkommenden Nationalstaatsgedanken während und nach der Französischen Revolution. Die Befreiungskriege 1813 endeten 1815 mit dem Wiener Kongress und einer Neuordnung Europas, in der die alten Gewalten noch einmal die Oberhand gewannen. Mit Nation und ihrer jeweiligen Kultur verband sich zunehmend auch ein Herrschaftsanspruch. Gesellschaftlicher Umbruch formten nicht nur ein anderes Bild von der Gesellschaft, sondern die sich im revolutionären Geist neu bildende Gesellschaft ordnete sich neben der Veränderung sozialer Schichtung ein in die Grenzen des Nationalstaates.

So verband sich in Deutschland mit dem Ende der Befreiungskriege 1815 bis zum Jahre 1848, dem so genannten Vormärz, das Verlangen nach Veränderung verfassungsrechtlicher Normen für den Staatsaufbau auch das Streben nach nationaler Einheit der Deutschen und der Bildung eines Nationalstaates. Für die nationalen Hoffnungen waren die Ergebnisse des Wiener Kongresses 1815 eine Enttäuschung, aber auch die begonnen sozialen Reformen und ihr Fortschritt gerieten ins Stocken. Maßnahmen in dieser Richtung waren in den einzelnen Staaten des Deutschen Bundes unterschiedlich und machten an den jeweiligen Landesgrenzen Halt. Das Leben in diesem Zeitabschnitt vollzog sich in Spannungsfeldern zwischen Handarbeit und Maschinenarbeit, zwischen Hausarbeit und Fabrikbetrieb, die sich vermehrt im beginnenden Industriezeitalter ausgebreitet hatten. In diesen Gegensätzen mit ihren sozialen Folgen entstand die Bewusstseinsbildung des Arbeiterstandes. Öffentliche Organisation ließ sich in der Zeit des Vormärzes mit seinem System staatlicher Repressalien nicht verwirklichen. Deutsche Berufs und Handwerksgesellen verlagerten ihre Aktivitäten und die organisatorische Aufbauarbeit ins Ausland nach Frankreich, die Schweiz, Belgien und England. Hier entstanden Organisationen, die sich als „Arbeitervereine“ kennzeichneten.

In dem Mitgliedsbild dieser Vereine überwogen Handwerksgesellen. Handwerksgesellen waren über die Grenzen der europäischen Staaten hinweg auf Wanderschaft., was auch zu einer differenzierten Sicht in der Nationalitätenfrage führte.

Die nationalliberalen Bestrebungen der Zeit, zu denen sich auch Studentenorganisationen zählten, die auf einen demokratischen Verfassungsstaat hinarbeiteten, der die deutsche Einheit einschloss und den Anfängen der Arbeiterorganisationen, bildete sich keine Solidarität im Sinne einer Einheitsfront. Nationalliberale Forderungen und sozialrevolutionäre Strömungen bewegten sich auf verschiedenen Gleisen. Georg Büchner gehörte zu denen, die ein einheitliches Bemühen anstrebten. Zu Mitgliedern der Studentenverbindungen hatte auch Wilhelm Liebknecht gehört, dem in der sich ausbreitenden Arbeiterbewegung eine führende Rolle zukommen sollte.

Die deutschen Arbeitervereine im Ausland bewegten sich außer in der Schweiz in einer fremdsprachlichen Umgebung. Der Zahl nach waren sie nicht bedeutend, hatten aber einen hohen Aktivierungsgrad und nationale Forderungen blieben ein fester Bestandteil der beginnenden Arbeiterbewegung. Das sollte sich erst 1848 und danach zunehmend ändern.

Der „Volksfreund“, der 1848 in Leipzig erschien, schrieb: ,daß die Arbeiter...Republikaner

und Demokraten seien, keiner Nation ausschließlich angehören können, daß nicht deutsches Recht, nicht deutsche Freiheit ihr Ziel ist, sondern menschliches Recht und menschliche Freiheit.“

Damit stellt sich auch die Frage, kann es nationale Freiheit geben ohne soziales Recht, und kann es soziale Freiheiten geben ohne nationales Recht.

NavNext71
2. Die Arbeiter und die Bestrebungen zur deutschen Einheit von 1848 bis 1878

Das Revolutionsjahr 1848 brachte wichtige und entscheidende Veränderungen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten, trotz aller Enttäuschungen. Es ist auch das Jahr in dem von Marx und Engels das „Kommunistische Manifest“ veröffentlicht wurde mit dem markanten Schlusssatz: „Proletarier aller Länder vereinigt euch“. Damit war auch der Gegensatz zu allen sozialen Bestrebungen auf nationaler Ebene ins politische Leben gerufen.

Es traten nationaler Sozialismus in Widerspruch zum internationalen Sozialismus, nachdem schon eine Kontroverse sich um die Frage entwickelt hatte: Sollten soziales Begehren und Revolution vom Volk ausgehen oder von den immer noch Mächtigen verordnet werden. Eine dritte Möglichkeit war der Konsens zu einer Zusammenarbeit. Die Revolution von 1848 war eine bürgerliche Revolution, in der es nicht vordergründig um soziale Belange ging, sondern es war ein Ringen um die Formen eines demokratischen Verfassungsstaates, verbunden mit der Forderung des aufstrebenden Bürgertums nach Teilhabe an der politischen Macht. Zwar meldete sich die „Arbeiterklasse“ schon zu Wort, aber der Einfluss auf den Gang der Dinge war begrenzt.

Die Arbeitervereine der Zeit forderten neben nationaler Demokratie die soziale Demokratie.

Stephan Born war der Führer einer Arbeiterorganisation der „Arbeiterverbrüderung“ schrieb dazu im Juni 1848: „Es gibt zwar genug Leute, die der Meinung sind...die soziale Frage, die Frage der Arbeit, die Frage des täglichen Lebens sei die Hauptsache und alles andere Firlefanz; wir teilen diese Meinung ganz und gar nicht, denn wir können bei der Beurteilung nicht den Boden verlassen, auf dem wir sie finden.“ Die Reformen sollten sich dem zufolge nicht auf den sozialen Bereich beschränken. Die Arbeiter sollten selbstbewusst und gleichberechtigt an der politischen Macht und Entwicklung teilhaben. Born wollte bei weitergehenden Reformen auf revolutionäre Gewalt nicht unbedingt verzichten und vertrat die Ansicht: „daß die soziale Frage nur unter der ausgedehntesten Volksherrschaft gelöst werden kann.“ Zu den Bemühungen um die Einheit Deutschlands traten Arbeiterorganisationen für die Großdeutsche Lösung ein. Der erste deutsche Arbeiterkongress, der vom 23. August bis zweiten September 1848 in Berlin tagte, beschloss in organisatorischen Fragen, die Landesgrenzen der Staaten des Deutschen Bundes nicht zu berücksichtigen. Zur Frankfurter Nationalversammlung, die ein einiges Deutschland auf demokratisch-konstitutioneller Grundlage herbeiführen wollte, bestand ein Spannungsverhältnis.

Die sich formierenden Arbeiterorganisationen waren „großdeutsch“ und fühlten sich in der Wahlrechtsfrage benachteiligt, denn das Wahlrecht zur Frankfurter Nationalversammlung, die ihre Existenz der Initiative des liberalen Bürgertums verdankte, sollte nur selbstständig Tätigen gewährt werden, was einen großen Teil der Arbeiterschaft ausschloss. Arbeiterorganisationen sahen die Frankfurter Nationalversammlung in einer Abhängigkeit von Preußen. In Preußen wurde die Hauptursache für das Scheitern revolutionärer demokratischer Bestrebungen im Revolutionsjahr 1848 gesehen, die in vielen Aufstandsgebieten des Deutschen Bundes von Preußischen Truppen niedergeschlagen worden waren.

Gegen Preußen wurde geradezu ein Feindbild aufgebaut. In heftige Kritik geriet die

Nationalversammlung, als sie dem Waffenstillstand zustimmte, den Preußen am 26. August

1848 in der Auseinandersetzung mit Dänemark um Schleswig-Holstein auf diplomatischen Druck Englands uns Russlands abschloss. Diese nachgiebige Haltung fand auf dem Arbeiterkongress in Berlin keine Billigung.

Was sich 1848 innerhalb der Arbeiterbewegung in einer grundsätzlichen Kontroverse entspann, sollte sich in den aufgezeigten Grundzügen fortsetzen bis 1878 und darüber hinaus.

NavNext71
3. Das Ringen innerhalb der Sozialdemokratie

Die fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts brachten für die demokratischen und sozialrevolutionären Strömungen einen Stillstand, die mit der Lockerung staatlicher Restriktionen am Ende der Dekade wieder in Bewegung kamen.

Vertreter nationaler und sozialer Revolution begegneten sich bei den Schiller-Feiern im November 1859, die zu einem Höhepunkt wurden für alle, die nach Veränderung der bestehenden Zustände trachteten. Nach zehnjähriger Unterbrechung begann sich wieder politisches Leben zu regen, an dem auch die Arbeiterbewegung Anteil nahm. Sie war Teil einer breiteren demokratischen Bewegung. Mit Leidenschaft fochten Arbeiter und ihre Organisationen für die deutsche Einheit. In der Mitte der sechziger Jahre hatten Marx und Engels keinen großen Einfluss auf Arbeiterorganisationen in Deutschland. Der Anteil der Fabrik- und Bergarbeiter beschränkte sich auf eine Minderheit, das zahlenmäßige Übergewicht hatten Handwerksgesellen. Das Vereinswesen war in Deutschland weit gediehen, in den bürgerlich liberalen Bewegungen wie auch in der Arbeitervereinen. Im Mai 1863 gründete Ferdinand Lassalle den ADAV(Allgemeiner Deutscher Arbeiter Verein).

National- und sozialdemokratische Zielsetzung standen hierin in einem Zusammenhang.

Aber es bildeten sich Gegensätze, die in den Persönlichkeiten von Lassalle und Schweitzer

und Bebel und Liebknecht ihren Ausdruck fanden. Der Staatsbegriff erfuhr von Lassalle und Schweitzer eine andere Auslegung als von Bebel und Liebknecht. Die divergierenden Kräfte begannen sich zu formieren.

In seinem „Arbeiterprogramm“ 1862 ließ Lassalle verlauten: Der Staat habe die Funktion, die Entwicklung des Menschengeschlechts zur Freiheit zu vollbringen und dem Arbeiter „...zu einer solchen Entwicklung zu verhelfen, zu der er als einzelner nicht befähigt wäre.“ Eine seiner programmatischen Forderungen war die Errichtung von Produktionsgenossenschaften mit staatlicher Hilfe. Nach dem Tode Lassalles 1864 hielt sein Nachfolger Schweitzer an diesem Konzept fest.

Der Unterschied Lassalle- Schweitzer und Bebel- Liebknecht lässt sich begründen. Lassalle und Schweitzer richteten ihre Forderungen an den bestehenden Staat. Bebel und Liebknecht wollten diesen Staat umformen, bevor seine soziale Gestaltung in Angriff genommen werden sollte. 1865 war Liebknecht noch Mitglied des von Lassalle gegründeten ADAV. Liebknecht hatte in seiner Staatsvorstellung ein Ideal entwickelt: Den Volksstaat mit der Umschreibung:

„Der Volksstaat hilft nicht dem Volk, er ist das Volk, und in dem Volksstaat hilft das Volk sich selbst,“ und an anderer Stelle: „Wir müssen uns deshalb des Staates bemächtigen und einen neuen begründen, der die Klassenherrschaft nicht kennt, weder Herrn noch Knecht duldet, und die Gesellschaft auf genossenschaftlicher Grundlage organisiert.“

Aber das alles war Karl Marx zu wenig, er äußerte sich abfällig über Liebknechts Vorstellungen: „Das Vieh (gemeint ist Liebknecht) glaubt an den zukünftigen Staat der Demokratie, unter der Hand ist das bald das konstitutionelle England, bald die bürgerlichen Vereinigten Staaten, bald die elende Schweiz. Von revolutionärer Politik hat es keine Ahnung.“ Marx sah in Liebknechts Vorstellungen allenfalls ein taktisches Konzept.

Im Februar 1865 kam es zum Bruch mit Schweitzer als Lassalles Nachfolger auf der einen und Liebknecht; Marx und Engels auf der anderen Seite. Schweitzer, so das Urteil der letztgenannten, sei in einer Artikelserie: „Das Ministerium Bismarck“ Bismarck zu sehr gefolgt.

Der Krieg 1866 zwischen Preußen und Österreich brachte Schweitzer erneut in den Gegensatz zu Bebel und Liebknecht, die auf revolutionärem Wege für ein Großdeutschland eintraten und Schweitzer für ein „Großpreußen“, also für die kleindeutsche Lösung. Im Juli 1865 war Liebknecht aus Preußen ausgewiesen worden und floh nach Sachsen. Bebel und Liebknecht wollten die Einheit Deutschlands, aber nicht auf dynastischem, sondern auf revolutionärem Wege durch einen Volkskrieg.

Schweitzer, der 1867 in den Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt worden war, gab in einer Erklärung zu verstehen, er werde, sollten ernste Gefahren vom Ausland das Vaterland bedrohen, dem Könige von Preußen und seine Regierung „mit aller Kraft“ unterstützen. Das war auch ein Bekenntnis zu Bismarcks Politik, die bei Bebel und Liebknecht und den Linksliberalen auf Ablehnung stieß.

Bebel sprach Ende September 1866 vor dem nach dem allgemeinen Wahlrecht gewählten Reichstag des Norddeutschen Bundes der Regierung das Recht ab, für das ganze deutsche Volk zu sprechen. Schweitzer dagegen sah lobenswerte Errungenschaften in der Macht Preußens und seiner Politik im deutschen Einigungsprozess, während Bebel und Liebknecht es beklagenswert fanden, das Luxemburg aufgegeben worden sei, die Abtretung Nordschleswigs bevorstünde und die deutsche Nationalität in den baltischen Ländern von Russland unterdrückt werde.

Bismarck hatte auf eine dieser Vorhaltungen erwidert, es wäre unverantwortlich gewesen, wegen der Garnisonsfrage in Luxemburg in Europa einen Krieg zu entfesseln.

1869 gründeten Bebel und Liebknecht in Eisenach die SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei), die auch als Absetzbewegung zu dem von Lassalle gegründeten ADAV angesehen werden kann. Zuvor war schon der VDAV (Verband Deutscher Arbeitervereine) gegründet worden. Lassalleanhänger und die von Bebel und Liebknecht bestimmte Richtung waren bei Wahlen auch nicht gemeinsam aufgetreten.

Damit war der Einfluss der „Londoner“ Marx und Engels in der deutschen Arbeiterbewegung spürbar gewachsen. Die noch 1866 auch bei Bebel und Liebknecht betont nationale Linie wurde im Zuge des Deutsch Französischen Krieges aufgegeben und ins Gegenteil gewendet.

Im Frühjahr 1869 hatte Schweitzer erklärt, dass der Kampf zwischen Arbeit und Kapital, „in Anbetracht des Widerstandes der besitzenden Klassen kaum noch auf gesetzlichem Boden gehalten werden könne.“ Zwar hatte Schweitzer seine politischen Zielvorstellungen mit dem Angebot verknüpft, den friedlichen und reformerischen Weg zu beschreiten, war damit aber auf Regierungsseite auf wenig Gegenliebe gestoßen.

Zu Beginn des Deutsch- Französischen Krieges kam es zwischen Eisenachern und Anhängern Lassalles zu Kontroversen. Bebel und Liebknecht enthielten sich anfänglich im Reichstag zur Bewilligung von Kriegskrediten der Stimme, später lehnten sie die Bewilligung gänzlich ab.

Die Gegner des Krieges gewannen die Oberhand. Die Stimmung hatte sich gewandelt nach anfänglichen Einverständnis, das vorherrschend war, weil Frankreich den Krieg begonnen hatte. Nach der Schlacht bei Sedan im September 1870 und mit Ausrufung der Republik in Frankreich änderte sich diese Haltung. Die Lassalleanhänger und die Eisenacher wandten sich gemeinsam gegen die Fortsetzung des Krieges. Die Ablehnung gipfelte dann in der Solidaritätserklärung Bebels mit dem Pariser Kommuneaufstand am 25. Mai 1871 im Reichstag. Die Äußerungen konnten nur noch als Aufruf zum gewaltsamen Umsturz aufgefasst werden. Von 1871 bis 1875 verschärften sich die Verfolgungsmaßnahmen, die auch vor Mitgliedern des ADAV nicht Halt machten. Der Berliner Staatsanwalt Tessendorf, der insgeheim im Auftrage Bismarcks handelte, machte sich hier einen Namen. Es kam zu einem Hochverratsprozess gegen Bebel und Liebknecht. Beide wurden zu Festungshaft verurteilt. 1875 schlossen sich ADAV und SDAP zur SAP (Sozialistische Arbeiterpartei) zusammen. Verfolgungen und Zusammenstöße mit der Polizei kennzeichneten den Weg bis zum Inkrafttreten des Sozialistengesetzes am 21. Oktober 1878. Es wurde bis zu seiner Aufhebung 1890 mehrfach vom Reichstag verlängert.

NavNext71
4. Die Sozialdemokratie im Urteil bürgerlicher Vertreter.

Die bürgerlich- konservative und die bürgerlich- liberale Welt und die Konservativen insgesamt sahen in der heraufkommenden Sozialdemokratie einen politischen Faktor, der nicht übersehen werden durfte. Die Brisanz der sozialen Frage und der Arbeiterfrage ließ sich nicht beiseite schieben, als die ersten Organisationen der Arbeiterschaft sich regten, um das politische Leben mitzugestalten. Das etwas geschehen musste hatten auch die Gegner der Sozialdemokratie eingesehen. So war neben Ablehnung auch Entgegenkommen zu entdecken. Der zeitweise Gegensatz zwischen Lassalleanhängern und der von Marx und Engels beeinflussten Richtung, gab Anhaltspunkte der Beurteilung und der Kritik und schließlich der Interpretation. Vier Themenbereiche hatten sich in den Vordergrund geschoben, an denen die Sozialdemokratie gemessen wurde. In Lassalles politischen Theorien wurden Ansatzpunkte zu konstruktiven Lösungen gesehen, die es möglich erscheinen ließen, sozialdemokratischen Bestrebungen entgegenzukommen. Beurteilungskriterien waren Staatsauffassung, das allgemeine Wahlrecht, die politische Taktik und die Einstellung zur Nation. Inwieweit ein Gegensatz zwischen Lassalle und Marx/Engels ideengeschichtlich und in der praktischen Politik wirklich vorhanden war, ist strittig. Die Beurteilung Lassalles innerhalb der Sozialdemokratie ist von Bedeutung für die Bewertung von außerhalb. Lassalle war heftigsten Angriffen ausgesetzt zu Lebzeiten und auch danach, besonders von Marx und Engels. Seine Popularität innerhalb der Arbeiterbewegung wurde dadurch nicht beeinträchtigt. Die Schriften Lassalles hatten eine Breitenwirkung, im ADAV und ebenso in der 1869 in Eisenach gegründeten SAP. Diese Schriften hatten einen unvergleichlich höheren Bekanntheitsgrad als die Veröffentlichungen von Marx und Engels. Bebel schrieb dazu in seinen Memoiren, dass er: „wie fast alle, die damals Sozialisten wurden, über Lassalle zu Marx gekommen“ sei. Im Mai 1873 schrieb Bebel an Engels, um seine Ablehnung zu bekunden über die Rücksichtslosigkeit, mit der gegen die Ansichten Lassalles vorgegangen werde. Diese divergierenden Strömungen in der Sozialdemokratie bildeten die Grundlage für konservative und liberale Autoren und Publizisten zu einer Lassalleinterpretation, nicht um einen Keil in die sich zeigenden Spannungen in der Sozialdemokratie zu treiben, sondern viel eher, um die Arbeiterschaft für den neu gegründeten deutschen Nationalstaat zu gewinnen. Die Lassallerezeption anerkannte das Wirken Lassalles als national und staatstragend und stellte es so in den Gegensatz zum internationalen Sozialismus. Selbst Franz Mehring war 1877 zu dieser Auffassung gelangt, ebenso wie Heinrich von Treitschke und Friedrich Naumann. Im Urteil Treitschkes galt Lassalle als ein Politiker, der noch an Preußens deutschen Beruf geglaubt habe. In einer frühen Schrift:

„Arbeiterkatechismus oder der wahre Sozialismus“ ließ Naumann verlauten, die kaiserliche Botschaft vom 17. November 1881 in Zusammenhang mit Bismarcks Sozialpolitik sei der Anbruch von Lassalles sozialem Königtum gewesen.

Themen

Parlamentdebatte 1878Seiten AnfangIII. Der Staatssozialismus

Verantwortlich für den Inhalt der Seiten,Copyright © 2003-2005: Heinz Drews