Lutherrose
VI. Das Ringen um die Sozialdemokratie
Themen16
1. Im Kaiserreich
2. In der Weimarer Republik
Nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland
VII. Die politische Gegenwart im Rückblick auf die Geschichte

VI. Das Ringen um die Sozialdemokratie

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1. Im Kaiserreich

Im Vorfeld zum ersten Weltkrieg setzten europäische Mächte an zu einem Höhenflug imperialistischer Politik.

Der Kampf um die letzten verbliebenen Gebiete begann, um sie einer Kolonialherrschaft zu unterwerfen. In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts beteiligte sich auch Deutschland an einer Kolonialpolitik. Große Gebiete kamen unter deutsche Kolonialherrschaft. Bismarck hatte während seiner Amtszeit und danach vergeblich gewarnt, sich mit dem Erreichten zu begnügen. Seine Nachfolger wollten weiter ausgreifen.

1895 äußerte Max Weber in einer akademischen Antrittsrede: „Wir müssen begreifen, daß die Einigung Deutschlands ein Jugendstreich war, den die Nation auf ihre alten Tage beging und seiner Kostspieligkeit halber besser unterlassen hätte, wenn sie der Abschluss und nicht der Ausgangspunkt einer deutschen Weltpolitik sein sollte.“

Um diese imperialistische Politik ausgreifend und wirkungsvoll gestalten zu können, war die Unterstützung der Sozialdemokratie erforderlich, die immer größere Teile der Arbeiterschaft an sich zog.

Für das Zeitalter des Imperialismus galt das Primat der Außenpolitik, was auch Verzicht auf weitergehende soziale Reformen bedeutete. Als Vorbedingung für soziale Leistungen wurde die Erweiterung der nationalen Machtsphäre propagiert. Diese politische Linie setzte ihre Hoffnung auf einen Wandlungsprozess innerhalb der Sozialdemokratie, wofür der zunehmende Einfluss der Revisionisten Anhaltspunkte zu bieten schien.

Erneut wurde von außen Lassalle herangezogen und als Gegenbild zu Marx dargestellt und entsprechend umgedeutet. Friedrich Naumann suchte mit der Begriffsschöpfung „Demokratischer Imperialismus“ Einfluss zu gewinnen.

Bismarcks Politik geriet jetzt in die Kritik, gegen ihn richteten sich die Vorwürfe, er habe mit einer verfehlten Politik, die Arbeiter gegen den nationalen Gedanken aufgebracht.Seiten Anfang14

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2. In der Weimarer Republik

Die Weimarer Republik brachte für die Sozialdemokratie nicht den erhofften Gewinn und Einfluss. Zwar erhielten die Parteien, die während der Bismarckzeit in Opposition zum geschaffenen deutschen Nationalstaat standen, die SPD, das Zentrum und die linksliberale DDP 76% der Stimmen bei der ersten Reichstagswahl am 19. Januar 1919. Aber die Lasten und Folgen des Ersten Weltkrieges machten diesen Erfolg schnell zunichte. Maßgeblichen Rückhalt und Einfluss konnte die SPD in der Weimarer Republik nicht gewinnen.

Dennoch, das oft als reaktionär gescholtene Preußen war unter der Führung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun zuverlässig demokratisch verankert in den Wirren der Weimarer Republik, bis die Regierung Braun staatsstreichartig und verfassungswidrig im sogenannten Preußenputsch vom 20 Juli 1932 von der Reichsregierung unter Reichskanzler von Papen unter fadenscheinigen Vorwänden entmachtet wurde. Ein Vertreter der NS- Spitze, Hermann Göring, wurde als preußischer Ministerpräsident eingesetzt. Die SPD war die einzigste Partei, die Hitler in der entscheidenden Reichstagssitzung am 23. März 1933 die Gefolgschaft zum Ermächtigungsgesetz verweigerte, mit dem die demokratische Verfassung und die Demokratie beseitigt wurde. Für viele Sozialdemokraten war die NS- Herrschaft ein langer Leidensweg.

Die Synthese von national und sozial herzustellen, wurde auch in auch in der Zeit der Weimarer Republik vergeblich unternommen. Diese historische Fehlleistung machte sich die NS-Propaganda zu nutze.

Das gelang mit dem Blendwerk eines wirtschaftlichen Aufschwungs, der sich hernach um so mehr als eine Täuschung erweisen sollte.                Seiten Anfang14

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3. Nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland

Nach dem Zweiten Weltkrieg verfehlte die SPD den Griff nach der Macht erneut. Die erfolgreiche Politik der Sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards, die auf das Konzept einer erfolgreichen Währungs- und Finanzpolitik gegründet war, zwang die SPD 1959 sich im Godesberger Programm zu reformieren und anzupassen. Zur hundertjährigen Wiederkehr des Sozialistengesetzes gab es 1978 Gedenkveranstaltungen, in denen rückblickend eine Analyse vorgenommen wurde. Immer noch versuchten beide Seiten wie in der Vergangenheit, sich die Fehlleistungen ihrer Geschichte vorzuhalten, was erneut zu keinem guten Ergebnis geführt hat. Am 11. Juni 1978 hat Willy Brandt in der Frankfurter Pauskirche zur 100. Wiederkehr des „Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ eine Rede gehalten, in der er auf den französischen Sozialisten Jaurès(1859- 1914) einging und dabei Kritik übte an seiner eigenen Partei wegen ihrer Haltung vor dem Ersten Weltkrieg. Er nahm die Kritik auf, die Jaurès an der deutschen Sozialdemokratie geübt hatte, und ließ diese Kritik als berechtigt gelten. Jaurès hatte sich im Vorfeld des Ersten Weltkrieges, als sich auch in Frankreich die Kriegsstimmung steigerte, in Vorträgen gegen einen Krieg mit Deutschland ausgesprochen. Jaurès wurde kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges am 31. Juli 1914 in Frankreich umgebracht. Das verschweigt Willy Brandt in seiner Rede. Schon sind wir wieder an einem Punkt angekommen, an dem die Betrachtung Deutscher Geschichte oft ankommt. Fakten werden verschwiegen, um ein deutsches Schuldbewusstsein zu fördern. Ob diese politische Tendenz die Versöhnungsbereitschaft unter den Völkern gefördert hat ist eine Frage, die daran angeknüpft werden muss.

In einer wissenschaftlichen Tagung am 26. Oktober 1978 der Akademie für Arbeit in der Universität Frankfurt a. M. in Zusammenarbeit mit dem Vorstand der IG- Metall zum 100. Jahrestag des Inkrafttretens des Sozialistengesetzes zeichnet einer der Redner, Otto Ernst Kempen, ein anderes Bismarck- Bild als das, was im linken politischen Spektrum- und nicht nur dort- üblich war. Er berief sich dabei auf einen Beitrag des Schriftstellers Rolf Hochhuth im „Spiegel“, worin ausgeführt worden war, Bismarck habe einen Staatssozialismus begründen wollen, der dann vom Reichstag auf ein kleinbürgerliches Versicherungsniveau zusammengestrichen worden sei. Ein Gesetz des „Rechtes auf Arbeit“ sei ebenfalls vom Reichstag abgelehnt worden. Die Kritik im Nachhinein an der Unzulänglichkeit des Sozialversicherungssystems, so Hochhuth, sei daher nicht gerechtfertigt Bismarck hatte die Absicht die Finanzierung der Beiträge zu den Sozialversicherungen in drei Teile zu gliedern: Ein Teil Arbeitnehmer, ein Teil Arbeitgeber und ein Teil aus Steuern. Es gelang nicht dem Reichstag die Zustimmung dafür abzuringen, so scheiterte auch dieses Vorhaben. In einer beispiellosen Kurzsichtigkeit verweigerten auch die sozialdemokratischen Abgeordneten im Reichstag ihre Zustimmung. Trotz Sozialistengesetz durften Sozialdemokraten weiter ihr passives Wahlrecht ausüben. Bismarck hat dann noch einmal den alten Kaiser ins Gefecht geführt, um in einem Appell, den Reichstag zu bewegen, seine Zustimmung nicht gänzlich zu versagen.

Ein besonders schwerer Rückschlag für sozialistische Ideale war das Scheitern der DDR.

Der Absolutismus, der sich als bestimmende Herrschaftsform im 17. und 18. bis hinein ins 19. Jahrhundert festgesetzt hatte, gab sich christlich, war es aber nicht. Der atheistische Absolutismus bezeichnete seine Herrschaftsform als sozialistisch für den Bereich, der einmal als real existierender Sozialismus ausgegeben wurde, sie war aber nicht sozialistisch, wie in sieben Jahrzehnten eindrucksvoll demonstriert worden ist.

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte das Genossenschaftswesen in der Bundesrepublik Deutschland große Erfolge vorweisen. Ein Beispiel dafür, das beide Wirtschaftssysteme nebeneinander bestehen und sich gegenseitig ergänzen könnten. Ein Hinweis auf den israelischen Kibbuz darf in diesem Zusammenhang nicht fehlen. Der Kibbuz hat als genossenschaftsrechtliche Wirtschaftsform bestand gehabt. Nirgendwo ist Kommunismus so weitgehend verwirklicht worden wie im israelischen Kibbuz. Es ist ein Kommunismus, der sich auf Freiwilligkeit gründet.                                                                        Seiten Anfang14

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VII. Die politische Gegenwart im Rückblick auf die Geschichte
der Arbeiterbewegung

Zu Bismarcks Zeiten sollte der Versuch unternommen werden, über einen Umbau der Gesellschaft, die soziale Besserstellung der arbeitenden Bevölkerung herbeizuführen. Währungs- und finanzpolitische Theorien standen zu der Zeit nicht im Vordergrund. Solche Theorien gewannen in der Weimarer Republik und darüber hinaus zunehmend an Bedeutung und lenkten die Aufmerksamkeit darauf, herbeigeführt durch Währungserschütterungen wie Inflation 1923 und Deflation 1929.

Die Problemstellung ist auch für die politische Gegenwart genauso aktuell wie in der Vergangenheit. Die Gegenwart bietet ein Bild der Unsicherheit. Der rasante wirtschaftliche Aufstieg nach dem zweiten Weltkrieg ist nicht nur gebremst, er ist rückläufig. Es drohen wirtschaftliche Erschütterungen wie nach dem Ersten Weltkrieg. Die deflationäre wirtschaftliche Entwicklung im Jahre 2003 erinnert an die Schrecken der Deflationskrise zu Beginn der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, die weltweites soziales elend mit sich brachten.

Die Wirtschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg brachte für das breite Spektrum der Arbeitnehmer in Deutschland einen sozialen Standard, wie er vergleichbar nirgends in der Welt gefunden werden kann. Diese binnenwirtschaftliche Entwicklung außenwirtschaftlich abzusichern, ist versäumt worden. Diesbezüglich national zu denken war und ist verpönt.

Es kann zu keinem guten Ergebnis führen, wenn in Deutschland 35 Stunden in der Woche gearbeitet wird und in Korea 60 Stunden. In Japan gibt es eine Woche Urlaub in Deutschland sechs Wochen. Diese Diskrepanz aufzufangen ist eine wirtschaftspolitische Aufgabe für die Zukunft. Ein Problembewusstsein dafür ist bislang sehr schwach entwickelt. Es wird sich aber nicht umgehen lassen. Wenn hier nicht gegengesteuert wird, drohen nicht nur eine Überfremdung der deutschen Wirtschaft, in dem immer öfter und immer mehr ausländisches Kapital in Deutschland zur Herrschaft gelangt, es drohen auch der Zusammenbruch und die völlige Abschaffung der sozialen Sicherungssysteme. Das „deutsche System“ ist überholt hat es dazu schon geheißen. Von „Modernisierung“ und „Umbau“ wird verharmlosend und beschwichtigend gesprochen. Die Gewerkschaften stehen dieser Entwicklung ratlos gegenüber. Eine Alternative können oder wollen sie nicht aufzeigen.

Der preußische Sozialismus, und das ist Bismarcks Sozialgesetzgebung, wurde oft hochgelobt, und ebenso oft spöttisch und verächtlich abgetan. Zwei Kriege und zwei Inflationen hat er überstanden, heute nach mehr als fünfzigjähriger Friedenszeit wird er zur Disposition gestellt.

Ich sehe den Tag kommen, hatte Bismarck einmal ahnungsvoll geäußert, wo dieses System einem schrankenlosen Anspruchsdenken zum Opfer fallen wird. Der preußische Sozialismus hat den arbeitenden Menschen mehr soziale Errungenschaften und Absicherungen gebracht als es Revolutionen aller Schattierungen auch nur annähernd vermocht haben. Viele werden ihn vermissen, wenn es ihn einmal nicht mehr gegen wird. Er war gegründet auf ein Pflichtbewusstsein, das den Menschen ausgeredet worden ist. Freiheit des Individuums lässt sich nur über die Pflichterfüllung gegenüber dem Kollektiv verwirklichen.

Die Soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards nach dem Zweiten Weltkrieg ist durch einen Börsenkapitalismus ersetzt worden. Es herrschen nicht Arbeit und das damit verbundene Leistungsprinzips, wie es gerechterweise sein sollte, es herrschen die Geldströme und die Spekulation. Früchte jahrzehntelanger härtester Arbeit können in diesem System in wenigen Augenblicken zunichte gemacht werden. Die Aufbauleistung nach dem Zweiten Weltkrieg, beginnend mit den Trümmerfrauen des Jahres 1945, war getragen von Entbehrung, Fleiß und Opferbereitschaft. Alles ist mit dem Hinweis auf Hitler diskreditiert worden. Wieder einmal mehr musste Hitler dafür herhalten, um eine Politik rechtfertigen zu können, für die keine ethische Basis zur Rechtfertigung vorhanden war. Die Träger einer solchen Politik waren sich dennoch nicht zu Schade, sich in das warme Nest zu setzen, das ihnen von einer opferbereiten Generation bereitet worden war.

Globalisierung ist das große Wort der wirtschaftspolitischen Gegenwart. Es klingt so brüderlich, als läuteten die Glocken internationaler Harmonie, ist aber so nicht gemeint, gemeint ist, die Produktionsstätten dahin zu verlagern, wo der Ausbeutungsprozess am rücksichtlosesten betrieben werden kann.

Schließlich aber nicht letztlich kommt die Staatsverschuldung hinzu. Staatsverschuldung war der eigentliche Anlass zum Ausbruch der Französischen Revolution, Staatsverschuldung hat zwischen den beiden Weltkriegen im vorigen Jahrhundert zum Zusammenbruch der Weltwirtschaft geführt mit den bekannten Folgen. Die gegenwärtige Staatsverschuldung ist begleitet von astronomischen Ziffern, die zeitweise öffentlich genannt werden. Das weckt Befürchtungen und Erinnerungen.

Themen

V. Die Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890Seiten AnfangBismarck und Bebel

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