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Die Reformation beginnt
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Die Reformation beginnt

Das war der Stand und die Situation für breiteste Bevölkerungsschichten am 31. Oktober 1517, dem Tag, an dem Martin Luther seine 95 Thesen veröffentlichte in lateinischer Sprache.

Ob die Schlosskirche zu Wittenberg der Platz war, ist wissenschaftlich strittig, Er hat sie auch dem Erzbischof Albrecht von Mainz zugesandt. Aber ein so einzelner Brief an den Erzbischof hätte nicht die Wirkung haben können wie ein Anschlag, der für eine breitere Öffentlichkeit bestimmt war. Die Erfindung der Buchdruckerkunst durch Johannes Gutenberg(1400-1468) lag schon einige Jahrzehnte zurück, wodurch der Kommunikations- und Informationsfluss beträchtlich in Ausdehnung und Geschwindigkeit gesteigert werden konnte. Die 95 Thesen verbreiteten sich flächendeckend über das Reich, obwohl der Bildungsstand des Lesens und Schreibens für die meisten Menschen der Zeit unerreichbar war.

Von seinem Eintritt ins Kloster 1505 bis hin zu seinem Thesenanschlag 1517 hatte Bruder Martin einen von Härten gekennzeichneten Lebensweg zurückgelegt und war die Leiter klösterlicher Hierarchie stetig empor geklommen. Luther war von einem tief gegründeten Ernst erfasst und von einer Aufrichtigkeit durchdrungen, als er im Juli 1505 an den Toren des Augustinerklosters in Erfurt um Einlass nachsuchte.

Im April 1507 wurde Luther zum Priester geweiht und im Oktober 1508 an die neu gegründete Universität in Wittenberg berufen. Mit der Promotion zum Doktor der Theologie im Oktober 1512 hatte er die für ihn bis dahin erreichbare Stufe erklommen.

Luther war auf der Suche in einer Zeit, in der Glauben, Frömmigkeit und Kirche den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens bildeten. Ihm ging es nicht um geistliche und materielle Vorteile und die damit einhergehenden Privilegien. Er legte sich im Kloster Härten auf, die weit über das hinausgingen, was die Regel vorschrieb. Später hat er manchmal seine gesundheitlichen Schwächeperioden auf die Zeit im Kloster zurückgeführt.

In dem hier angesprochenen Zeitraum hatte sich Luther zu einer rastlosen Tätigkeit hinreißen lassen. Im Oktober 1516 schreibt er an einem Freund:

„ Eigentlich brauche ich zwei Sekretäre. Den ganzen Tag tue ich fast nichts als Briefe schreiben. Ich bin Klosterprediger, Vorleser bei Tisch, täglich werde ich auch als Prediger in der Pfarrkirche begehrt, ich bin Studienleiter, Ordensvikar, das heißt Prior von elf Klöstern, Verwalter eines Fischteiches in Leitzkau, Sachwalter eines Rechtsstreites in Torgau, halte Vorlesungen über Paulus, sammle Material für einen Psalmenkommentar und muss, wie gesagt immerfort Briefe schreiben. Selten bleibt mir Zeit die Horen zu beten und Messe zu lesen, nicht zu reden von den persönlichen Kämpfen mit Fleisch, Welt und Teufel. Du siehst, was für ein müßiger Mann ich bin.“

Die 95 Thesen richteten sich gegen den Ablasshandel, aber die Gründe, die Luther dagegen vorbrachte, waren nicht auf politische Hintergründe gerichtet, sie beinhalteten auch nicht die wirtschaftliche Ausnutzung, die mit dem Ablasshandel einherging. Die Aussagen der 95 Thesen sind vom ersten bis zum letzten Satz theologische Aussagen, Sie führen den Nachweis, das von Ablässen im Kanon der Heiligen Schrift, der Bibel, mit keinem Wort die Rede ist, und Luther kannte die Heilige Schrift. Das Kirchenvolk kannte sie nicht, es hatte nur eine dumpfe Ahnung. Gottesdienste und Liturgie wurden in lateinischer Sprache abgewickelt. Aber mit der vermehrten Verbreitung von Luthers Thesen steigerte sich die Ahnung, dass etwas verkehrt lief, zur Gewissheit, denn Luther begründete seine Aussagen mit der Heiligen Schrift. Darauf gründete sich seine Argumentation, daraus zog er die Belege für seine Aussagen. Die Diskrepanz zur kirchlichen Realität und die darauf gegründete und gelebte Frömmigkeit wurde so offenbar. Das Gebäude, auf das sich bis dahin der Anspruch der Kirche gegründet hatte, begann zu wanken.

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Martin Luther als Begründer und Förderer des Obrigkeitsstaates. Eine These, die nach dem Zweiten Weltkrieg oft verbreitet wurde, verbunden mit dem versteckten oder offenen Hinweis auf eine Mitverantwortung für den ideellen und materiellen Zusammenbruch der Deutschen Geschichte 1945.

Karl Barth(1886- 1968), das größte theologische Ereignis im 20. Jahrhundert im protestantischen Raum, Glied der Reformierten Kirche, hat Luther das angelastet, aber nicht nur er. Karl Barth gilt als der Hauptverfasser der „Barmer Erklärung vom Mai 1934, auf die sich der Widerstand der „Bekennenden Kirche“ gegen die NS- Herrschaft gründete.

Wie berechtigt ist dieser Vorwurf gegen Luther? Die Frage ergibt sich von selbst. Die Antwort darauf ist Luthers Lebenslauf.

Martin Luther hat den herrschenden Gewalten Widerstand geboten. Wer das bestreitet, muss die Geschichte fälschen. Mehr als einmal wurde ihm der Scheiterhaufen vor die Augen gemalt. Er ist davor nicht zurückgewichen.

Die Jagd auf Martin Luther begann nach dem Thesenanschlag und die Verbreitung der 95 Thesen, die sich ausschließlich gegen den Ablasshandel richteten. Der Ablasshandel war von der Zustimmung der weltlichen und natürlich auch der geistlichen Gewalten eines Herrschaftsbereiches abhängig. Friedrich der Weise gab dafür in Kursachsen keine Genehmigung. Aber Wittenberg, Luthers Wirkungsstätte lag nahe der Grenze zu Brandenburg, und die Gemeindeglieder, denen Luther sich verantwortlich wusste, passierten die Grenze, um die begehrten Ablassbriefe zu erwerben. Luther trat in Aktion, und die 95 Thesen waren schon ein wenig in dem Stil verfasst, der Luther später auszeichnen sollte.

Ablassbriefe hatten unterschiedliche Preise je nach Schwere der Vergehen, von denen die Käufer sich Befreiung erhofften, und die Preise waren abgestuft nach Einkommenssituation, hatten also auch eine soziale Komponente. Sehr viel aus den Einnahmen ging nach Rom, aber auch ein nicht geringer Betrag floss in die Truhen der Fugger, und was dann noch übrig blieb gelangte in die fürstlichen Schatzkammern. Das wurde in Deutschland vielfach übersehen, Nationales begann sich zu regen. Die nationale Komponente und die damit verbundene Entrüstung, die in dem Ablassstreit zum tragen kam, weil große Summen außer Landes gingen, war deshalb nur bedingt berechtigt, aber auch nicht unberechtigt. Die öffentliche Erregung war groß, die Luthers Thesen entfacht hatten, und sie steigerte sich. Luther hatte das nicht gewollt, und es auch nicht vorhergesehen. Was Luther vor allen dingen nicht wollte: Eine nationale Bewegung begründen, wenn auch nicht selten seine Sorge um Deutschland ihren Ausdruck findet, oder er von seinen „lieben Deutschen“ spricht. Die Thesen, ursprünglich in Latein verfasst und veröffentlicht, waren übersetzt und unter das Volk getragen worden. Der Erzbischof Albrecht hatte sie erhalten und sie nach Rom übermittelt. Dort wurde die sich abzeichnende Entwicklung nicht sehr ernst genommen und mit Gleichgültigkeit betrachtet. Schließlich wurde in Rom die Losung ausgegeben, das Feuer zu dämpfen, ehe ein Brand daraus werde.

Die erste Bewährungsprobe für Luther war die Heidelberger Disputation im April 1518. Es war eine Zusammenkunft der Augustiner, die etwa alle drei Jahre stattfand. Einer Teilnahme konnte sich Luther schwerlich entziehen, weil seine Stellung innerhalb des Ordens ihm eine Verpflichtung auferlegte. Für den Anmarsch nach Heidelberg hatte ihn sein Landesherr, Friedrich der Weise unter seinen Schutz gestellt, denn es waren Drohungen gegen Luther ausgegangen. Es kam anders. Luther und sein geistlicher Beistand in den Kämpfen der Zeit, Staupitz, waren Ehrengäste des Pfalzgrafen. Luthers Auftritt brachte erste Früchte, die erst später reifen sollten. Unter den Zuhörern befanden sich Persönlichkeiten, die später die Reformation voranbringen sollten. Ein Dominikaner urteilte über Luther: „... Im Argumentieren beweist er die Geistesschärfe des Apostels Paulus. Was Erasmus von Rotterdam nur leise andeutet, sagt er offen und frei.“

Das Ereignis war für Luther ein Erfolg, zufrieden stellte er fest: „ Ich ging zu Fuß und kam zurück im Wagen.“

Die Augustiner waren ein wenig stolz auf ihren Mitbruder, die Dominikaner um so mehr verärgert, weshalb in Rom alles erst einmal als „Mönchsgezänk“ angesehen wurde.

Die Dominikaner starteten einen Gegenangriff. Tetzel, unter dessen Leitung im Sachsen benachbarten Brandenburg der Ablasshandel betrieben wurde. Luther, der ständig Ungehorsame, prägte den Satz: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan“, um dann fortzufahren: „ Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Das ist ein Satz für den Glauben gedacht nicht für Sozialrevolutionäre, denn was Luther verkündigt, soll nicht nur Gültigkeit haben für dieses Leben, für das der Tod nicht die letzte Antwort ist. Der Glaube ist aber deshalb nicht ein opportunistischer Vorwand, um die Belange des Erdendaseins als nichtig zu erachten, und um so die gesellschaftlichen Strukturen mit ihrem geistigen und wirtschaftlichen Ausbeutungsmechanismus unangetastet zu lassen. Das ist Luther nicht selten zum Vorwurf gemacht worden.

Er wettert gegen Fress- und Trunksucht und stellt fest, die Deutschen seien dafür in ganz Europa berühmt. Den Zinswucher prangert er an und wird konkret: „Hier muss wahrlich auch den Fuggern und dergleichen Gesellschaften ein Zaum ins Maul gelegt werden. Wie ist es möglich, dass bei eines Menschen Leben sollten auf einen Haufen so große königliche Güter gebracht werden? Ich weiß die Rechnung nicht.“

Zwei dogmatische Stützpfeiler der alten Kirche reißt er ein: Die Sakramente werden von sieben auf drei reduziert. Die Aufteilung des Kirchenvolkes in Laien und Amtsträger lässt er nicht mehr gelten. Er verkündigt das allgemeine Priestertum der Gläubigen und schreibt dazu:

„ Wir sind alle gleiche Christen und haben Tauf, Glauben, Geist und alle Dinge gleich. Wenn ein Priester getötet wird, verfällt das Land dem Interdikt. Warum nicht auch bei einem Bauern? Woher kommt der große Unterschied unter solchen, die Christen heißen?“

Ist das nicht eine Anarchie des Glaubens? Konzilien und Päpste bezichtigt er der Irrtümer.

Erasmus von Rotterdam stellt fest der Graben sei unüberbrückbar geworden, und Englands König Heinrich VIII.(1491-1547) fühlt sich gedrungen, eine scharf formulierte Schmähschrift gegen Luther in Umlauf zu bringen. Der Papst zollt ihm hohes Lob dafür und verleiht ihm den Ehrentitel: Defensor Fidei (Verteidiger des Glaubens). Mit der Bulle, die Luthers literarischern Wirken ein Ende setzen sollte, war er in der Hierarchie des Bösen aufgestiegen. Vom Unkraut im Weinberg wurde nicht mehr gesprochen. In der Einleitung zur Bulle hieß es vielmehr:

„Erhebe Dich o Herr, und richte Deine Sache. Ein wilder Eber ist in Deinem Weinberg gebrochen.“ Aber so leicht ließ sich das entzündete Feuer der Reformation nicht mehr eindämmen. Darüber hinaus holte Luther zum Gegenschlag aus. Die Ausbreitung seiner Lehre, die breite Zustimmung, die er vernehmen durfte, festigten seine Entschlossenheit. Vergeblich hatte er an ein allgemeines Konzil appelliert. Die Weigerung der Kirche gaben den Anlass sich an den Kaiser zu wenden. Sein Appell im August 1520 begann mit den Worten: „Wer die Größe der Sache bedenkt und begreift, dass es um die evangelische Wahrheit geht, die würdig ist auch den Thron der himmlischen Majestät zu besteigen, wird sie nicht unwürdig finden, dass auch der irdische Fürst sich mit ihr befasst.“

Luthers Schriften sollten verbrannt werden, so lautete der Auftrag für die Legaten. Im November 1520 wurden in Köln Luthers Bücher verbrannt. Die Antwort folgte wenig später. Am 10. Dezember 1520 verbrannte Luther die Bannandrohungsbulle vor dem Elstertor in Wittenberg. Im Januar 1521 wurde über Luther der Kirchenbann verhängt.

Aleander, in seiner Studienzeit mit Erasmus von Rotterdam befreundet gewesen in gemeinsamen humanistischen Bestrebungen, war jetzt vornehmlich im Westen des Reiches unterwegs, um der aufgekommenen lutherischen Lehre und ihrer Ausbreitung mit päpstlicher Vollmacht ein Ende zu setzen. Die Durchschlagskraft, die Luther und seine Gefolgsleute entwickelt hatten, und auch die eigene Durchschlagskraft hatte Aleander gewaltig unterschätzt. Mit Bestürzung musste er erkennen, wie wenig Ansehen der päpstlichen Vollmacht noch entgegengebracht wurde. Der Bischof von Lüttich ließ Luthers Bücher verbrennen. Die Universität Löwen, eine der ganz großen in Europa, beeilte sich den päpstlichen Willen zu vollstrecken. Aber, was ihm sonst in Deutschland begegnete, erzeugte Entsetzen und Verzweifelung. Wo er hinkam begegneten ihm Flug und Schmähschriften. Er wurde sogar bedroht und musste um seine körperliche Unversehrtheit fürchten. Selbst die drei Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln zeigten wenig Neigung, den Legaten mit der gewünschten und notwendigen Tatkraft zu unterstützen. Die Bischöfe von Bamberg und Würzburg luden den Ketzer sogar zu Tische. Gelder wurden verteilt, um Gefügigkeit zu erleichtern. Es wurden Privilegien vergeben, die helfen sollten, die Treue zu erneuern und aufrecht zu erhalten. Die Androhung kirchlicher Strafen nahm niemand mehr ernst. Sein Bericht nach Rom ließ die Realität in ihrem vollen Ausmaß erkennen, die niemand dort bisher wahrgenommen hatte oder sie nicht sehen wollte. Er schrieb: „ Das ist nicht mehr das katholische Deutschland von ehedem, neun von zehn rufen Luther und was übrig ist: „ weg von Rom.“

Die Überlegungen Luther zu verbrennen wie einst Jan Hus(1370-1415) und Savonarola(1452- 1498) den Reformator von Florenz, ließen sich so nicht mehr verwirklichen. Ein allgemeines Konzil einzuberufen, vielleicht sogar noch nach Deutschland, das musste verhindert werden, so gewann der Gedanke, Luther vor einen abzuhaltenden Reichstag zu laden, zunehmend die Oberhand. Bereits Ende November 1520 war Luther zum vorgesehenen Reichstag in Worms eine Einladung durch den Kaiser zugegangen, die aber im Dezember wieder zurückgenommen wurde. Diese Unentschlossenheit zeigte die Unsicherheit, die Luthers Gegner um trieb. Aleanders Bestreben war, ein Erscheinen Luthers vor einem weltlichen Tribunal zu verhindern, und er ließ sich so vernehmen: „Für mich selbst würde ich gerne diesen Satan entgegentreten, aber die Autorität des Heiligen Stuhles darf nicht beeinträchtigt werden durch Unterwerfung unter das Urteil der Laien.“ Wo Aleander hinkam, begegnete ihm Luther in einer Weise, die ihn erkennen ließ, wie schwer es wäre, die Stellung Luthers im Volk zu erschüttern. In einem seiner Berichte heißt es: „Martin wird abgebildet mit einem Heiligenschein und einer Taube über seinem Haupt. Das Volk küsst diese Bilder. Eine solche Menge wurde davon verkauft, dass ich nicht imstande war eins zu erlangen.“

Luther wurde verehrt und umschwärmt vergleichbar einem Popstar in der Gegenwart.

So hatte die Entwicklung ihren Verlauf genommen. Zu Mitte Februar 1521 lud der Kaiser zu einer Vollsitzung des Reichstages ein, der die großen und kleinen Stände des Reiches umschloss. Ein Edikt des Kaisers sollte erlassen werden, aber nur mit Zustimmung des Reichstages. Aleander redete drei Stunden auf die Anwesenden ein, um den Boden zu bereiten, der Luthers Ende herbeiführen sollte. Der Erfolg war mäßig. Im März 1521 erging erneut eine Einladung des Kaisers an Luther im Namen der versammelten deutschen Stände. Karl V.(1519-1556) hatte Luther geladen und ihm dadurch das größtmöglichste Forum der damaligen Zeit eingeräumt. Die Gründe waren nicht Selbstlosigkeit und Verständnis für Luther, sondern waren von politischen Überlegungen begleitet. Der Papst hatte Verbindungen aufgenommen zum großen Gegner Karls V. : König Franz I.(1494-1547) von Frankreich, und nach Spanien hatte es der Papst unternommen, Einfluss zu nehmen auf die bestehenden politischen Gegensätze. So konnte der Kaiser Luther durch die Einladung nach Worms zum Reichstag als Druckmittel gegen den Papst einsetzen, um in Rom Gefügigkeit zu erzeugen. Luther hatte ohnehin die Forderung erhoben, der Papst und die Kirche sollten sich auf Gebet und Verkündigung beschränken und sich aus politischen Machtkämpfen heraushalten.

Viele Warnungen erreichten Luther, nicht zu einem Erscheinen vor dem Reichstag auf die Reise zu gehen, obwohl ihm freies Geleit zugesichert worden war. Luther verwarf alle Bedenken. Schon die Reise von Erfurt nach Worms war ein herausragendes Ereignis. Straßen und Plätze, die Luthers Reisewagen passierte, waren von Menschen umsäumt. Die Kosten der Reise hatte die Stadt Wittenberg übernommen für „den mittelosen Mönch“. Flugblätter, von religiöser Inbrunst erfüllt, begleiteten die Reise:

„Christus, höre die Deutschen! Schlage Aleander! Vor Gift auf dem Wege nach Worms bewahre Martin Luther! Christus, höre die Deutschen!“

Ein Menschenauflauf begleitete Luthers Einzug in Worms. Auf der Reise dorthin hatten ihn nur wenige begleitet. Jeden Beistand ritterlicher militärischer Art, der ihm angeboten worden war, hatte er abgelehnt. Ulrich von Hutten schrieb an Luther: „Hier ist ein Unterschied zwischen uns. Ich blicke auf Menschen. Ihr, die Ihr schon vollkommener seid, vertraut alles Gott an.“

In der Mitte des Monats April stand Luther dem Reichstag und dem Kaiser gegenüber, in dessen Reich die Sonne nicht unterging. Es war das Jahr und die Zeit, in der Fernao de Magalhaes(1480-1521) das Kap Horn umrundet hatte auf der Seefahrt um die kugelförmige Erde. Spanische Truppen geführt von Hernando Cortés(1485- 1547) eroberten in den Jahren 1519-1521 Mexiko für die spanisch- habsburgische Krone. Die Eroberung und Begründung neuer Imperien hatte begonnen. Das alles hatte Luther kaum wahrgenommen, es berührte ihn nicht. Nikolaus Kopernikus,(1473-1543) hatte er einen „Narren“ genannt. Der Streit zwischen Theologie und Naturwissenschaft hatte mit Beginn der Renaissance eingesetzt. Er ist bis in die Gegenwart nicht beendet. Oft hat sich die Naturwissenschaft auf das Feld der Theologie begeben und oft auch die Theologie auf das Feld der Naturwissenschaften, ohne die nötige Kompetenz dafür zu besitzen. Luthers Äußerung über Nikolaus Kopernikus zeigt das allzu deutlich.

Goethe hat die Menschheitsgeschichte in einem Satz zusammengefasst: „Die Geschichte ist im Grunde nichts anderes als ein Kampf zwischen Glauben und Unglauben.“

Luther stand vor dem Kaiser und den Ständen des Reiches, er sollte widerrufen. Ein Stoß seiner bereits zahlreichen Bücher und Schriften war vor ihm aufgebaut. Die Szene ist in der Historiographie oft heroisch ausgeschmückt worden. Aber Luther war danach nicht zumute, wie Augenzeugen seines Auftrittes überliefert haben. Luther war nicht bereit zu widerrufen, was so oft von ihm gefordert worden war, es sei denn, so führte er aus, er werde überzeugt durch die Heilige Schrift oder mit offenbaren Gründen der Vernunft.. Die Vernunft, oft zum Glauben in Gegensatz gesetzt, wollte Luther durchaus gelten lassen. Das war seine Antwort

„ohne Hörner und Zähne“, wie von ihm gefordert worden war. Bevor Luther den Versammlungssaal des Reichstages betrat, hatte Georg Frundsberg,(1473-1528)der „Vater der Landsknechte“ ihm ängstlich anvertraut: „Mönchlein, Mönchlein du gehst einen schweren Gang.“ Ein Mönchlein war Luther immer geblieben, obwohl später als Fürstenknecht gescholten. Luther ist nie arm gewesen, dennoch waren seine Lebensverhältnisse bescheiden. Er hat nie irgendwelche Pfründe eingestrichen. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen oder hätte es gewagt, ihm Bestechungsgelder anzudienen. In Worms auf dem Reichstag in dem Trubel, der ihn umgab, musste er jeden Augenblick eines Anschlages gewärtig sein. Als er seine letzten Worte gesprochen hatte wurde er umringt, eine menschliche Schutzmauer umgab ihn bis zu seiner Unterkunft und schützte ihn vor dem Zugriff spanischer Landsknechte. „ Ich bin hindurch, ich bin hindurch,“ waren die wirklich letzten Worte in dem Ereignis, als er sich in Sicherheit wähnen konnte. Diese Worte sind später zu einer triumphalen Geste umgedeutet worden, aber sie sind wohl eher mit zitternder Stimme gesprochen worden.

Luther verließ Worms. Auf dem Wege nach Wittenberg bemächtigte sich seiner ein Trupp Ritter in einer guten Absicht. Sie brachten ihn, über den die Reichsacht verhängt worden war, auf die Wartburg. Hier in Schutzhaft war er nicht untätig, er übersetzte das Neue Testament, den christlichen Kanon der Heiligen Schrift in die deutsche Sprache.

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Auf dem Berg der Wartburg vollendete Luther eine von vielen Arbeiten, aber es war die Wichtigste und die Bedeutendste: Die Übersetzung des Neuen Testamentes, des christlichen Kanons der Bibel, in die deutsche Sprache. Er hatte die Arbeit schon vollendet, als Berichte über Unruhen zu ihm drangen, die den Bestand des bisher Erreichten zu gefährden schienen.

Nicht Päpste, Konzilien, Kardinäle und Legaten hatten die Gefahr ausgelöst, sie kam aus den eigenen Reihen. Es galt die Spaltung der protestantischen Sache zu verhindern. Luther stieg herab von der Wartburg, was nicht ganz ungefährlich war, denn noch immer galt das Wormser Edikt, das ihn geächtet und für vogelfrei erklärt hatte. Luther verlies den sicheren Ort: Die Wartburg, um hinab zu steigen in das Kampfgetümmel theologisch-dogmatischer Meinungsverschiedenheiten. Vieles war erreicht worden, und die Reformation sollte weitergehen. Luther war nicht mehr allein, es hatten sich in allen Teilen Deutschlands Persönlichkeiten gefunden, die bereit waren die Reformation voranzutreiben. Neue Kirchen- und Gottesdienstordnungen, eine Verbesserung des Bildungswesens, um breiteren Bevölkerungsschichten den Zugang zu Bildung und Bildungseinrichtungen zu ermöglichen, gingen damit einher. Eine Hoffnung der Zeit aber hatte sich mit all den Erneuerungen nicht erfüllt. Die sozialen Lebensverhältnisse hatten keine Veränderung erfahren. Luther hatte dazu Stellung genommen. Er hatte die Problematik und die damit verbundenen Gefahren erkannt und stand dem nicht gleichgültig gegenüber. 1524, sechs Jahre nach dem Ausbruch der Reformation, begann sich Unmut zu verbreiten. Ein dumpfes Grollen, das dem Ausbruch eines Vulkans vorausgeht, war zu vernehmen gewesen. Bereits im Herbst 1524 war es an verschiedenen Orten, die später das Aufstandsgebiet ausmachten, zu Zusammenkünften gekommen, die eine Vorahnung aufkommen ließen über das, was bevorstand. Im Frühjahr 1525 nahm alles die Formen eines Aufruhrs an. Die Bauern hatten sich, wenn auch lose und unzureichend organisiert. Der Zusammenhalt war regional begrenzt, eine einheitliche Führung gab es nicht. Erfasst wurden der süddeutsche Raum bis hinauf nach Thüringen und Teile Sachsens. Uneinheitlich, regional unterschiedlich waren auch die Forderungen, die erhoben wurden. So ergab sich ein konfuses Bild unterschiedlicher Interessenslagen. Die größte Verbreitung fanden die „Zwölf Artikel“, ein Forderungskatalog, der über das eigentliche spätere Aufstandsgebiet Verbreitung fand. Federführend als Verfasser war Sebastian Lötzer, ein gebildeter, bibelkundiger Kirschnergeselle aus Memmingen im Schwarzwald. Zusammenfassend wurden darin gefordert: Freie Pfarrerwahl, Aufhebung von Zehntpflicht und Leibeigenschaft, freie Jagt, freie Nutzung des Waldes, Freiheit von Frondiensten und Abgaben. Viele Sätze wurden mit biblischen Randbemerkungen versehen, damit sollte alles ein christliches Gepräge erhalten. Denn die eigentlich politische Botschaft sollte zu einer an christlichen Werten orientierte Gesellschaft führen. Das erregte Luthers Anstoß, denn genau das wollte er nicht: Die Umwandlung von Glaubensinhalten zu politischen Inhalten. Luther nahm ausdrücklich Stellung zu jedem der Zwölf Artikel. Im Zwölften Artikel hatten sich die Verfasser erboten, alle Formulierungen zurückzuziehen, die nicht mit der Heiligen Schrift, dem Worte Gottes, in Einklang zu bringen zu seien. Das nahm Luther zum Anlass, um Stellung zu beziehen. Er war in dem zwölften Artikel nur indirekt aufgefordert worden, sich zu äußern. Eine direkte Aufforderung als Schlichter zu wirken, war nicht ergangen. Auch die Gegenseite, die großen und kleinen Feudalherren hatten sich nicht an Luther gewandt, der doch immerhin als eine Autorität angesehen werden musste, zumindest von denen, die sich zum Protestantismus bekannten.

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