| In meinem Schreiben an Rudolf Augstein wird einiges ausgeführt zum christlichen Widerstand gegen das NS-Regime. Weder der sozialdemokratische noch der christliche noch der kommunistische Widerstand in Deutschland haben von internationaler Ebene aus Solidarität und Unterstützung erfahren. Vom national-konservativen Widerstand soll in diesem Zusammenhang einmal Abstand genommen werden. Der Widerstand in Deutschland war auf sich allein gestellt und wurde von außen allein gelassen. Sir Winston Churchill hat das nach dem Zweiten Weltkrieg offen eingeräumt. Wie anders wäre die Geschichte verlaufen, wenn dem deutschen Widerstand auch nur annähernd soviel Beachtung geschenkt worden wäre, wie sie das Hitler-Regime so überreichlich in Anspruch nehmen konnte. Es ist besonders auffällig, dass diese Thematik in der Öffentlichkeit, in der Politik, in der Presse und in den Bildungseinrichtungen keinen Niederschlag findet. In einem Schreiben vom 31. Januar 2000 an Sie habe ich bereits dargestellt, wie es dem sozialdemokratischen Widerstand in der Zeit der NS-Herrschaft ergangen ist. Und es waren nicht wenige aus der Sozialdemokratie, die alles eingesetzt haben, was ein Mensch einsetzen kann, um dem Unheil zu widerstehen und es abzuwenden. Schon am 31. Januar 1933 hatte das „Hamburger Echo“ in großer Aufmachung dazu aufgefordert, mit der Grundtendenz: „Jetzt erst recht“. Für mich ergeben sich Fragen, die mit meinem Geschichtsstudium und mit meiner politischen Tätigkeit in Zusammenhang stehen. Warum darf mit der Tendenz, wie ich sie in diesem Schreiben Ihnen gegenüber in wenigen Sätzen umrissen habe, nicht ungehindert geforscht und veröffentlicht werden, gemäß GG Art. 5 Abs. 1 und 3? Befinden wir uns in einer Situation vergleichbar der nach dem Ersten Weltkrieg, wo unter Androhung militärischer Gewalt ein Geschichtsbild erzwungen wurde? Soll die Zukunft Europas so gestaltet werden? Um das gleich klarzustellen, mir geht es um einen Dialog, der wegführt vom Vergeltungsdenken. Einen Dialog, der eine Begegnung in versöhnlichem Geist ermöglicht. Ich habe nie den Anspruch erhoben, die allein richtige Sicht der Dinge zu besitzen. Jeder kann dem, was Inhalt meiner Veröffentlichungen ist, mit Ablehnung begegnen. Jeder kann es unternehmen, von mir erfolgte Darstellungen historischer Vorgänge und ihre Interpretation zu widerlegen. Das ist nie irgendwo geschehen. Allerdings müsste ich darauf bestehen, dass es in dem Rahmen geschieht, wie er im Grundgesetz in den unveräußerlichen Grundrechten abgesteckt ist. Keine deutsche Bundesregierung kann Verträge schließen oder sich auf außenpolitische Rücksichtsnahmen einlassen, die im Widerspruch zum Grundgesetz, der bundesdeutschen Verfassung, stehen, das ist meine politische und juristische Überzeugung. 1955 war das Jahr in dem der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, zu einem Staatsbesuch nach Moskau gefahren ist. Während der Verhandlungen ist der damalige sowjetische Außenminister Molotow dem deutschen Bundeskanzler mit politisch-moralischen Vorstellungen entgegengetreten. Konrad Adenauer hat Molotow daraufhin die Frage vorgelegt: „ Wer hat eigentlich den Pakt mit Hitler geschlossen, Sie oder ich?“ Dazu ist später angemerkt worden, Adenauer habe das nicht in der Deutlichkeit gesagt, sondern es diplomatisch formuliert. Auf solche Spitzfindigkeiten kann bestimmt verzichtet werden. An die so gestellte Frage anknüpfend, hat Adenauer auch die Westmächte mit Kritik bedacht, weil sie das Hitler-Regime nicht nur geduldet, sondern es massiv begünstigt und gefördert hatten. Die damalige sowjetische Führung ist darauf nicht eingegangen, sie und einige ihrer Nachfolger haben es vorgezogen, das Hitler-Regime als politisches Instrumentarium zu nutzen, um ihre Machtpolitik gegen Deutschland rechtfertigen zu können. Adenauer hat seine Positionen nicht in einem rechthaberischen Geist vertreten, ihm ging es darum, einen Prozess der Verständigung in Gang zu setzen. Das Wiedergutmachungsabkommen mit Israel hat Adenauer ohne „eigene Mehrheit“ durch den Bundestag gebracht. |